Dienstag, 12. April 2016

Der die Ziege fickt

Ein recht zuverlässiger Indikator dafür, daß gerade etwas wirklich Großes entstanden ist, ist das Unverständnis des Establishments. Wenn die Jury des ehrenwerten Pariser Salons zu dem Urteil kommt, die Werke dieser Herrn Manet, Whistler oder Cézanne entsprächen nicht den Ansprüchen, die an die Kunst zu stellen seien, dann merkt man, hier ist etwas Neues und Wichtiges geboren worden. Wenn die Pariser Universität und der Heilige Stuhl zu der Einschätzung gelangen, Descartes Art der Philosophie sei eine Zumutung und gehöre verboten, dann weiß man, das menschliche Denken hat nun eine neue und aufregende Richtung eingeschlagen.
Und da sollte man zwei Dinge nicht falsch verstehen. Das Neue wird nicht dadurch besonders, daß es auf einer rein technischen Ebene so viel weiter entwickelt wäre als das Bestehende. Und nur weil es neu und anders ist, muß man es noch nicht persönlich mögen. Man sollte sich allerdings damit beschäftigen.

Und nun schalten wir einen Gang zurück und reden über Jan Böhmermann und seine "Schmähkritik".  Allein das aus unzähligen Kritiken und Kommentaren sprechende allgemeine Unverständnis läßt einen erahnen, daß hier ein wirklich großes, ein überragendes Werk gelungen ist.
Was hat er getan? Er hat gesagt, daß eine nicht sachbezogene, grob beleidigende Kritik in Deutschland nicht als Satire geschützt, sondern als "Schmähkritik" im Prinzip strafbar sei. Und er hat ein Beispiel zur Verdeutlichung gegeben. Hätte er gesagt, "Es ist verboten 'Erdoğan ist ein Arschloch' zu sagen.", nichts wäre daran bemerkenswert gewesen. Allein, er hat das "Arschloch" etwas ausführlicher in Form eines kleinen Gedicht ausgearbeitet. Und nur dadurch wird der Fall besonders! Denn hat er das Beispiel dafür, was man nicht darf, nicht doch ein klein wenig zu detailliert ausgeführt, um noch ein Beispiel zu sein? Er hat etwas grundsätzlich unverfängliches gesagt und dabei doch Worte gewählt, die zweifeln lassen, ob das Gesagte nicht doch etwas anderes, etwas dem Mächtigen gegenüber Unerhörtes meint. Und dies ist Satire in ihrer reinsten, direktesten und gelungensten Form. Und all die irrsinnigen Kommentare steigern die Brillanz dieses so simplen und so treffenden Werks noch. Wir müssen nun die Meinungsfreiheit verteidigen? Was hat das denn mit der Meinungsfreiheit zu tun! Böhmermanns Meinung war doch nicht, Erdoğan sei ein Ziegenficker, seine Meinung war es, seine Ziegenfickerausführungen seien nach deutscher Rechtslage strafbar. Und mit dieser Meinung hat doch niemand das geringste Problem! Nein, Böhmermann hat keine Diskussion um Meinungsfreiheit angeregt! Die eigentliche Diskussion geht darum, ob man jemanden für Worte bestrafen kann, weil man glaubt, daß diese etwas anderes meinen als sie sagen. Eine hübsche, spannende und groteske Diskussion, fundamental und genial. Und alle fallend sie darauf herein. Herr Erdoğan natürlich sowieso, aber auch Frau Merkel, die sich mit ihrer "bewußt verletzend"-Einschätzung genau in die Interpretationsfalle des Was meint der dünne blasse Junge wirklich wirft, die ihr ausgelegt wurde. Oder die ach so progressiven Oppositionspolitiker, die jetzt über Paragraphen diskutieren oder eben "Meinungsfreiheit" verteidigen wollen. Oder  all jene, die meinen, Herr Böhmermann hätte sich schlicht im Ton vergriffen, vergaloppiert oder wolle nur schnelle Aufmerksamkeit abgreifen. Oder der Kommentator bei SpOn, der meint, Böhmermanns Ziegenficker-Äußerungen würden den wahrgenommenen Höhepunkt seiner Karriere markieren. Denn jemand, der alleine mit einem einzigen etwas zu plastisch ausgeschmückten Beispiel alle, vom Feuilleton bis zur Regierung, vor sich her und orientierungslos durcheinander treiben kann, dessen Karriere ist noch lange nicht auf dem Höhepunkt. Dessen Karriere geht gerade erst richtig los.

18 Kommentare:

  1. Einspruch, Euer Ehren. Ich bin der Ansicht, dass Böhmermann hier keine Satire über den Politiker Erdogan abgeliefert hat. Vielleicht war das seine Absicht, aber dann ist es daneben gegangen. Es ist doch sehr transparent zu sagen "Schmähkritik ist nicht zulässig, zB so eine wie diese hier" und dann sein Lied vorzuführen, das er extra für diesen Anlass angefertigt hat.

    Das Ganze geht total ad hominem und ist damit als Satire missglückt. Im Gegensatz zu "Erdowahn", aber das ist ja eigentlich keine Satire, sondern eine gesungene Reportage.

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    1. Einspruch abgewiesen! :)

      Aber im Ernst: Ich glaube auch nicht, daß Jan Böhmermann eine Satire auf Erdoğan abgeliefert hat. Ich glaube nicht einmal, daß er dies wollte. Erdoğans einzige Rolle besteht darin, der Sache Zugkraft zu verleihen. Darin ist er prima, so sensibel wie er persönlich ist und so brisant die deutsch-türkischen Beziehungen zur Zeit sind. So ist sicher gestellt, daß die Angelegenheit nicht einfach ignoriert wird. Aber der eigentliche Adressat der Provokation aus ist Deutschland. Das steht nun zwischen den hässlichen Zeilen und einem wütenden Türken und muß seine Gedanken einmal gründlich sortieren.

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  2. Wenn Böhmermann etwas anderes wollte als a) Satire machen (misslungen) oder b) Erdogan beleidigen (gelungen), dann hat er es zumindest vor mir bisher gut verborgen. Nach außen wirkt es so, also hätte er auf die gelungene Arbeit von extra3 noch eins draufsetzen wollen.

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    1. Was die Satire angeht, so habe ich genau den gegenteiligen Eindruck: daß sie ganz ausgezeichnet funktioniert.

      Was die Beleidigung von Erdoğan angeht: Offenbar fühlt er sich beleidigt. Wäre er intelligenter, dann könnte er aber verstehen, daß er nur provoziert wird, weil er auf Provokationen wie ein Fünfjähriger reagiert. Und er damit ein beeindruckendes Beispiel abgibt, wie es aussieht, wenn Politik auf dem Niveau von Fünfjährigen gemacht wird.
      Abgesehen davon finde ich es zumutbar, in einer Satiresendung mit deftigen Worden angesprochen zu werden, wenn man bedenkt, daß sich ausländische Politiker von deutschen Medien und Politikern ständig und gänzlich unsatirisch als "Irre", "Wahnsinnige", "Kriminelle", oder "Faulenzer" bezeichnen lassen müssen.

      Und was Extra3 angeht, ja, da hat er ja tatsächlich noch was drauf gesetzt. Und zwar etwas, was weit über den Extra3-Beitrag hinausgeht.

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  3. Je ne suis pas Charlie
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    Und die Begeisterung über die Aufregung über einen Kotverschmierer find ich ebenso peinlich wie die Schadenfreude darüber, dass er Merkel damit "in Bedrängnis gebracht" hat.
    .
    Nachdem Opposition und Presse dazu nicht in der Lage waren.
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    Wir haben die Totalübewachung, die Bundeswehr im Inland, Zwangsgebühren und demnächst ttip. Die Welt ist längst reif für die Wiedereinführung des Majestätsbeleidigungsparagraphen, und all die Charlies da in den Redaktionen werden noch einmal aufschreien und dann kuschen.

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  4. Eigentlich bin ich das Thema so langsam leid.

    Aber Ihr Text ist mir einfach zu verschwurbelt und ich würde ihn gerne besser verstehen.

    Böhmermann ist also ein überragendes Werk gelungen, nach Ihrer Aussage. Darüber lässt sich bestimmt streiten. Aber nun gut.

    "Er hat etwas grundsätzlich unverfängliches gesagt und dabei doch Worte gewählt, die zweifeln lassen, ob das Gesagte nicht doch etwas anderes, etwas dem Mächtigen gegenüber Unerhörtes meint. Und dies ist Satire in ihrer reinsten, direktesten und gelungensten Form."

    "Die eigentliche Diskussion geht darum, ob man jemanden für Worte bestrafen kann, weil man glaubt, daß diese etwas anderes meinen als sie sagen."

    Also hat er Ihrer Meinung nach eine Meta-Diskussion gestartet, die keiner so recht versteht und jeder was anderes da rein interpretiert? Habe ich das richtig verstanden? Und das wäre das Geniale daran? Weil er eigentlich gar nichts gesagt hat und jetzt so ein Aufriss gemacht wird?

    Es ist ja inzwischen ein Selbstläufer, diese ganze Geschichte. Wenn man das so interpretiert, ist es dann wirklich sehr gelungene Satire. Aber doch wohl eher Real-Satire. Und so clever schätze ich den Böhmi nicht ein.

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    1. Ja, ich bin des Themas auch schon überdrüssig, aber man bleibt doch irgendwie immer wieder dran hängen, nicht? :)

      Es ist natürlich immer so eine Frage, inwieweit die Wirkung eines Werkes so auch vom Urheber beabsichtigt war. Und das ganz besonders im Bereich Satire, deren Wirkung sich ja oft genug erst durch die nur schwer vorherzusehende Reaktion anderer entwickelt. Ich selbst bin da im Zweifel bereit, den Erfolg für den Urheber auszulegen...

      Und ja, ich finde die Satire für sich bereits sehr gelungen, da Herrn Böhmermann es geschafft hat, mit einem sehr geringen Einsatz von Mitteln eine Verunsicherung zu erzeugen - obwohl seine Worte streng betrachtet ja ganz unmissverständlich waren.

      Und der Selbstläufer, er war vielleicht schon so beabsichtigt. Er konnte ja durchaus hoffen, das Erdoğan darauf anspringt, nachdem er schon auf die viel zahmere Extra3-Satire angesprungen ist. Und wenn er wieder drauf anspringt, dann wird auch die deutsche Politik darauf anspringen müssen. Soweit hat das ja auch geklappt.
      Und die Politik ist mit Frau Merkel ja voll in die Falle gegangen: Mit der Einschätzung, das Gedicht sei bewußt verletzend, hat sie ja Stellung bezogen und sich zu einer Bewertung hinreißen lassen, die davon ausgeht, was Böhmermann ihrer Ansicht nach sagen wollte (nämlich Erdoğan beleidigen). Und nicht von dem, was er tatsächlich gesagt hat (nämlich das eine Äußerung wie das Beispielgedicht verboten sei).
      Die Frage was Satire darf läuft damit auf die schöne Frage hinaus, ob Herr Böhmermann sich strafbar gemacht hat, weil er etwas anderes meinte als er sagte.

      Und sollte man hier zu ja tendieren, dann kann er sich auf die zweite Meta-Ebene zurück ziehen: Ich habe etwas anderes gemeint als was der Kläger meinte was ich meinte als ich sagte was ich sagte.

      Doch doch, das finde ich ganz groß! :)

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  5. "Ein" oder "kein", das scheint mir juristisch wurscht zu sein.
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    Diese Annahme, man könne sich darauf hinreden: Dass man das ja gar nicht gesagt habe, sondern nur als Beispiel zitiert - die halte ich für einen populären Irrtum.
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    Also ich als Richter würde das ohne weiteres als Beleidigung werten, und den vorgeschalteten Satz, man meine das ja alles gar nicht, für einen albernen Trick.

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    1. Eine juristische Einschätzung kann ich mir natürlich nicht erlauben. Liest man allerdings die einschlägigen Juristenblogs, dann bekomme ich schon den Eindruck, daß die Angelegenheit gar nicht so eindeutig ist.
      Es wäre schon sehr schön, wenn diese Angelegenheit tatsächlich vor Gerichten geklärt wird!

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  6. @Thomas
    Ich habe ein paar Artikel zu diesem Thema gelesen und fast jeder hatte eine andere Sichtweise dazu. Manche halten es für einen großen Coup, andere halten es für großen Bullshit. Ich halte Böhmermann nicht für den Satire-Gott, den manche in ihn sehen. Ich glaube aber, dass er sehr gut mit den Medien spielen kann und ihre Eigendynamik sehr gut kennt. Was er jetzt genau damit aussagen wollte und in wie weit das alles durchdacht war, kann nur er selbst beantworten. Das was die Zuschauer in diese Aktion interpretieren, ist halt nur eine Interpretation. Und auf welcher Ebene das nun gemeint war, wird wohl Erdogan ziemlich egal sein. Mag sein, dass Böhmermann seine Reaktion so vorher sah, mag auch sein, dass das alles über ihn hereinbrach. Ich denke auch nicht, dass das Zurückweichen auf eine zweite Interpretationsebene ihn vor einer Verurteilung schützen würde, falls es soweit kommen sollte. Was ich aber auch nicht glaube, dass es passiert.

    Vielleicht tue ich dem Böhmermann auch Unrecht und da steckt mehr dahinter, als ich glaube. Bisher halte ich ihn aber immer noch für einen eher mittelmäßigen Unterhalter und Komiker.

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    1. Oh ja, ich finde den Großteil dessen, was Böhmermann abliefert, auch eher so mittel witzig. Aber das ist Geschmacksache. Hin und wieder bricht er aber weit aus dem Niveau bevor und bringt Großartiges zustande. Ob er nur die Medien besonders gut verstanden hat, einen guten Instinkt hat oder was auch immer, er hat ein Gespür dafür, einen schwachen Punkt zu finden und von ihm aus alles durcheinander zu wirbeln. Und mir scheint, er wird mit der Zeit eher besser darin. Und Chaos und Verunsicherung zu stiften, wenn auch nur für eine kurze Zeit, finde ich einen großen Wert an sich. Dass jeder eine andere Meinung zu seiner aktuellen Aktion hat ist ein Wert an sich und es ist gut. Wären sich alle einig, egal ob im Guten oder im Schlechten, dann wäre es belanglos.

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    2. Sehr, sehr schön. Entspricht ziemlich genau meiner Wahrnehmung. Mir fällt es allerdings extrem schwer, diese ganze Entrüstung nachzuvollziehen. Der Grundtenor geht bei Böhmermann derart deutlich in Richtung der hiesigen Gesetzgebung, dass mir die Aufregung über das 'Gedicht' in etwa so vorkommt, als als krakeelten alle allein über eine gruselige Frisur ohne die dazugehörige Person auch nur zu erwähnen. Die gucken in der Zeitung auch nur die Bilder an, Text lesen is ni... das ist so schlimm wie diese anachronistische Gesetzeslage.

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    3. Chaos und Verunsicherung stiften schon die Politiker genug. - Mich verunsichert z.B. das Fehlen einer wirksamen Opposition innerhalb des etablierten Parteienspektrums, und das Fehlen seriöser Debatten in den etablierten Medien.
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      Was brauch ich da noch einen Quatschmacher, der die Verlogenheit der Politiker, die gestern alle noch Charlie sein wollten, jetzt durch ZF-Invektiva "sichtbar macht". Als wäre sie ohne dem unsichtbar gewesen.
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      Die Abhängigkeit Merkels von Erdogan ist eine Folge ihrer pharisäischen Flüchtlingspolitik. Genau die ist aber weithin beklatscht worden, vielleicht von den selben Leuten, die jetzt von Böhmann begeistert sind. Für mich hat das was von gymnasialer Mittelstufte, so das Niveau von FackJuhGöte.
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      Am Ende könnte Erdogan als der große Gewinner dastehen: Wenn er nämlich plausibel machen kann, dass die grandiose westliche (Meinungs-)Freiheit im Kern nur darin besteht, Respektspersonen straflos als "Ziegenficker" bezeichnen zu dürfen.

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    4. Ich habe den Eindruck, daß da interessante Punkte durchschimmern: Es gibt zu viel Chaos, wir brauchen nicht mehr sondern weniger. Wir brauchen wieder Klarheit und wir brauchen Respekt vor Respektspersonen.
      Aber das gibt's so nicht.

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    5. Vor allen Personen

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    6. Rudolf Scharping klagt gegen die Behauptung, er wolle als Nebenkläger auftreten.

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  7. Meiner Meinung nach war Grobziel dieser Aktion der von ihm angekündigte Rechtsstreit. So wird die Beleidigung von den Medien immer und immer wieder aufgegriffen und bleibt über lange Zeit Thema, im Falle des Rechtsstreit mit Revision und allem Pipapo über Jahre. Die extra3 Satire wäre ohne Reaktion schon nach einer Woche kein Thema gewesen und nach der Reaktion Receps ist er Wochen Thema gewesen. Nun hat JB es geschafft das wir uns über Jahre immer und immer wieder mit diesem Thema beschäftigen werden. Welche Feinziele er verfolgt hat 'who cares' ich an seiner Stelle würd jetzt aber auf die Kacke hauen ála "Ich wollte der deutschen Außenpolitik mal aufzeigen blablub bla...Kanzlerin bla... ZDF und Gesellschaft bla...Aluhütte"

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  8. Und wenn sich jetzt rausstellen sollte, dass es sogar in D-land (bei Strafe von einigen 10000 Euro) tatsächlich verboten ist, einen ausländischen Staatschef als Ziegenficker zu bezeichnen - wäre das eigentlich schlimm?
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    Wäre das dann das "Ende der Meinungsfreiheit" und D kein freies L mehr?
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    Mustafa Kemal Attatucholsky?

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