Sonntag, 27. September 2015

Michels Gespür für Arroganz

Die katalanische Unabhängigkeit, heute kommentiert bei SpOn:
"Gegen wen will Barcelona denn dann Fußball spielen? Gegen Lloret de Mar? Gegen Salou? zum lachen."
Nutzer e.romanczyk

Und schon Schachmatt, liebe Separatisten! Tja, diesen Olivenölbauern in Südeuropa fehlt nun mal einfach dieser Weitblick und der Sinn fürs Wesentliche, der uns Deutschen zu eigen ist. Solche Leute kann man nun wirklich nicht selbst entscheiden lassen, das wäre ja unverantwortlich dem Fußball gegenüber!

"Ein peinliches Volk, die Abspalt-Katalanen... Wer sogar die Waldbrand-Warnhinweise an den Autobahnen nur auf seiner Geheimsprache ausschildert (und so seinen Regionalkomplex über die eigene Sicherheit stellt), dem ist in seiner "Wir haben hier die dicksten Eier"-Macho-Dummheit nicht zu helfen...:) Raus mit so was aus der EU!"
Nutzer mymana1

Auf was für Ideen diese Katalanen so kommen - Straßenschilder in einer Landessprache, die der deutsche Tourist nicht versteht! Wenn die damit durchkommen, was kommt als nächstes? Will Dänemark Beschilderungen auf Dänisch? Hier muß Deutschland den verdammten Nationalisten mal ganz klar machen, was geht in Europa und was nicht. Raus aus unserer EU!

"Leider sind die Spalter-Katalanen genauso arrogant wie der FC Barça und die Ikone Pep Guardiola, dem auch sein Posten in München nicht davon abhält, kräftig für die Unabhängigkeitsbewegung Stimmung zu machen."
Nutzer cheeterno

Stimmt, arrogant sind sie auch noch, diese peinlichen Abspalt-Spalter ohne Verstand und Durchblick! Nicht mal beim FC Bayern (!) konnte der Guardiola ein bisschen was von der typisch deutschen Bescheidenheit und Demut lernen! Was muß der arme Hoeneß Uli enttäuscht sein! Ein widerliches, ein undankbares Volk.

"Ich habe Verstand im Kopf und kann mir nicht vorstellen, wie das sowieso schon nicht gerade wohlhabende Katalonien ausserhalb der EU überleben will. Aber das scheinen die Katalen nicht zu verstehen."
Nutzer Florian29

Gut, wir haben es schon mal gesagt, aber man kann es ja nicht oft genug wiederholen: Diese Katalanen haben - wie ja eigentlich alle diese Südländer - nicht so viel Verstand im Kopf wie wir, sind dafür aber arrogant, überheblich und selbstsicher! Kommt wahrscheinlich daher, daß sie es geschafft haben, so eine Geheimsprache zu erfinden, die wir nicht verstehen können...

"Diese Abspaltungstendenzen sind einfach lachhaft. In Zeiten, in denen Europa eigentlich noch mehr zusammenwachsen sollte, zerfällt es in Kleinstaaterei. Man sollte solchen Leuten die Konsequenzen aufzeigen und sie nach der Abspaltung isolieren."
Nutzer scooby11568

Recht so! Das ist immer noch unsere EU! Und wer da nicht spurt, den machen wir fertig! Das ist ja wohl nur Recht. Manche lernen es eben nur auf die harte Tour, daß unter deutscher Führung kein Platz mehr ist für Nationalismus in Europa! Deutschland muß nun mal seine Verantwortung und seine natürliche Führungsrolle übernehmen, auch wenn uns das nicht angenehm ist. Da müssen wir dafür kämpfen, daß sich die Ukraine, Moldawien und Georgien von Russland emanzipieren können, daß sich Katalonien nicht von Spanien emanzipieren kann und Griechenland nicht mehr länger emanzipiert ist. Das sind schwere Aufgaben für eine bescheidene Nation wie die unsere. Aber wir haben Verstand, aus unserer Geschichte gelernt und zu Hilfe kommt uns Deutschen unser untrügliches Bauchgefühl dafür, was richtig ist und was nicht! Also nur Mut, Landsleute, wir schaffen das!

Samstag, 26. September 2015

Via lliure a la República Catalana

Morgen finden Regionalwahlen in Katalonien statt und für Regionalwahlen irgendwo in Europa haben diese eine beachtliche Wucht: Wenn das überparteiliche Bündnis Junts pel Sí eine absolute Mehrheit erringt, dann will es binnen anderthalb Jahren eine unabhängige Republik Katalonien ausrufen. So begegnen einem auch immer mehr Artikel zum Thema und alle scheinen sich auf die dringendsten Fragen der Deutschen zur Außenpolitik zu konzentrieren: 1) Kann ich da noch Urlaub machen? 2) Was sagen denn die Märkte dazu? 3) Was wird aus dem FC Barcelona? Darüber hinaus gibt es nur noch ordentlich Misstrauen bis Ablehnung angesichts einer "nationalistischen Kleinstaaterei" in Europa, und das war's. Da komme ich doch nicht umhin, auch mal meine Meinung zum Thema auszubreiten, dafür wurde dieses Internet ja schließlich erfunden!

Einigkeit und Recht auf Dumpfheit für das Deutsche Vaterland


Als erstes verwundert mich die geringe deutsche Anteilnahme an den Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien und anderen Regionen in Europa. Deutschland legt so viel Wert auf seine nationale Einheit, besingt sie in seiner Hymne, feiert sie am Nationalfeiertag. Deutschland hat das historische Trauma, ständig in zu vielen, zu kleinen Staaten zu existierten, mit der Einheit 1991 endlich überwunden und scheint nun zu glauben, Europa sei damit fertig. Ist es aber nicht. Andere in Europa leiden am historischen Trauma, ständig in zu wenigen, zu großen Staaten zu leben. Wenn deutsche Kommentatoren den Katalanen hinwerfen, eine Rückkehr zur Kleinstaaterei sei kein Weg, so wie heute in der Welt geschehen [1], dann ist das ungefähr so angemessen, als hätten Katalanen Deutschland 1990 vorgehalten, eine Rückkehr zur Großstaaterei sei kein Weg. Es würde Deutschland gut zu Gesicht stehen, mehr Verständnis für nationale Befindlichkeiten anderer Völker zu zeigen, wo es seine eigenen nationalen Befindlichkeiten stets so wichtig nahm.

Als zweites verwundert mich das undifferenzierte deutsche Bild von Spanien. Wobei, vielleicht ist das gar nicht so verwunderlich. Für den Deutschen war ein Moslem ein Moslem und erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, daß es für Moslems mitunter einen ziemlichen Unterschied bedeuten kann, ob jemand dem sunnitischen oder schiitischen Islam zuzurechnen ist. Mit der Wahrnehmung von Spanien ist es ähnlich: alles Eins - Olivenöl, Paella und Hotelklötze am Meer. Nur richtet sich das Selbstbild anderer Menschen nicht nach der Wahrnehmung deutscher Touristen oder Kolumnisten und Spanier haben eine deutlich differenzierte Selbstwahrnehmung. Spanien hat sich nie als kulturell homogen wahrgenommen, sondern immer aus ein Zusammenschluss von Nationen. Es würde Deutschland gut zu Gesicht stehen, etwas mehr Sensibilität und Differenziertheit in solchen Fragen zu entwickeln.

Parlem Català


Was Spanien angeht, so ist ein Blick in die Spanische Verfassung ein guter Ausgangspunkt für einen differenzierteren Blick. Dort heißt es (Vortitel, Artikel 3), Kastilisch ist die offizielle Staatssprache: El castellano es la lengua española oficial del Estado. Dieser Satz macht zwei Dinge deutlich. Er zeigt, daß das, was wir Spanisch nennen, in Spanien Kastilisch heißt und nur eine der in Spanien gesprochenen Sprachen ist. Und er macht die kastilische Dominanz über ganz Spanien deutlich. Weitere Sprachen gelten in spanischen Regionen als zweite Amtssprache, etwa Galicisch, Baskisch und Katalanisch. Und im Verhältnis von Katalanisch zur kastilischen Sprache kristallisiert sich auch der ganze Konflikt der Katalanen mit dem spanischen Staat.
Die katalanische Sprache ist der Kern der katalanischen Identität und ihre Verwendung richtet sich gegen eine kastilische Dominanz. Tatsächlich wurde das Katalanische bis zum Ende des Franco-Faschismus in Spanien aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Dies hat tiefe Spuren um katalanischen Bewusstsein hinterlassen und es erklärt, weshalb kein Gespräch mit einem katalanischen Separatisten ohne den Hinweis auf die Unterdrückung der katalanischen Sprache aus kommt, etwa kürzlich in der Zeit [2]. Diese Unterdrückung existiert allerdings längst nicht mehr. Katalanisch ist verpflichtende Unterrichtssprache in öffentlichen Kindergärten und Schulen, es gibt katalanischsprachige Fernseh- und Radiostationen und Printmedien, Hollywoodfilme werden katalanisch synchronisiert (obwohl diese Sprache gerade gute 7 Millionen Sprecher hat), Doktorarbeiten in Katalonien erhalten einen finanziellen Zuschuss wenn sie auf katalanisch abgefasst werden und von der Autonomen Region Katalonien finanzierte Veranstaltung müssen auf Katalanisch stattfinden, auch wenn alle Teilnehmer Kastilisch bevorzugen. Von der Unterdrückung ist das Pendel inzwischen umgeschlagen zu einer gesetzlichen Bevorzugung des Katalanischen, die selbst schon in Spannungen mit der spanischen Verfassung gerät, die allen spanischen Bürgern das Recht auf den Gebrauch der kastilischen Sprache zusichert.

Nationalismus auf undeutsch


Man sollte also die Wehklagen der Katalanen über die Unterdrückung ihrer Sprache nicht all zu ernst nehmen, die Sprache und die Rolle, die sie für die Katalanen spielt, dagegen sehr. Aber ist das, was sie und den Separatismus befeuert, ein katalanischer Nationalismus? Technisch betrachtet mag dieser Terminus zutreffen. Allerdings sind die Assoziationen, die man insbesondere als Deutscher mit diesem Begriff verbindet, höchst unangemessen. Die implizierte Selbstüberhöhung des Nationalisten und die aggressive Abwertung des Anderen fehlt dem katalanischen Nationalismus völlig. Ein Nationalgefühl ohne auf andere hinabzublicken, das ist eine sehr undeutsche Angelegenheit. Und doch sind die selbst von Kritikern des katalanischen Separatismus bemerke Weltoffenheit und Zuwendung zu Europa ehrlich gemeint und tief verwurzelt. Selbst im Separatismus zeigt sich noch die Offenheit der Unabhänigkeitsbewegung: Beim Referendum zur Katalanischen Unabhängigkeit 2014 waren alle volljährigen Menschen stimmberechtigt, die mindestens ein Jahr legal in Katalonien gelebt haben. Und das völlig unabhängig von deren Staatsbürgerschaft. Das heißt, Menschen, die in Deutschland nicht einmal über den Bezirksbürgermeister mit abstimmen dürften, waren in Katalonien aufgerufen, mit über die politische Zukunft des Landes zu entscheiden. Selbst unter einer Mitte-Rechts-Regierung herrschen in Katalonien Zustände von einer Liberalität, bei der einem deutschen CDU-Mitglied das Hirn explodieren müsste. Wenn man also von katalanischen Nationalismus spricht, dann nur im Sinne abgeschwächten Sinne des "inklusiven Nationalismus", als Gefühl, eine eigenständige Nation zu sein. Um Missverständnisse zu vermeiden wäre es aber vielleicht besser, den Begriff "Nationalismus" ganz zu vermeiden und einfach von katalanischer Identität und Separatismus zu sprechen.

Ist's arg schlimm?


Vor einem Schreckgespenst Nationalismus muß man sich bei den Katalanen nicht fürchten. Noch viel mehr Schreckgespenster werden allerdings für die Katalanen aufgebaut. So wird immer wieder darauf verwiesen, ein unabhängiges Katalonien sein nicht mehr Mitglied irgendwelcher internationalen Organisationen und müsse bei Null anfangen. Keine Reisefreiheit, Zölle, die Abwanderung von Wirtschaft - der Niedergang sei unvermeidlich. Manche weisen nur auf die Schwierigkeiten hin, andere Kommentatoren wie die von der Welt fordern gar ausdrücklich eine Isolation und wirtschaftliche Zerstörung Kataloniens, sollte es sich von Spanien trennen. Solche Drohungen haben schon in Schottland Wirkung gezeigt und die Bevölkerung eingeschüchtert, sie sind der Versuch, durch die Drohung der wirtschaftlichen und politischen Vernichtung den demokratischen Willen in Teilen Europas zu brechen. Und natürlich wären die Aufgaben im Falle einer Unabhängigkeit Kataloniens gewaltig. Ein wirkliches Problem müssten diese allerdings nicht sein. Die europäische Politik müsste dabei allerdings etwas wirklich Ungeheuerliches, gerade für Deutsche kaum mehr Vorstellbares tun: Sie müsste nicht mehr länger als verbissene Verteidigerin des Status Quo und Vollstreckerin des Unvermeidlichen agieren, sondern die europäische Entwicklung mit gestalten! Die Europäische Union böte ideale Strukturen um all die schwierigen Konsequenzen einer Unabhängigkeitserklärung abzufedern - Freizügigkeit, Rechtssicherheit, Zollfreiheit und was auch immer nötig sein sollte. Würde sich die EU auf ihre eigentlichen Aufgaben - die Förderung von Frieden, Demokratie und Wohlstand in Europa - besinnen, sie müsste im Interesse aller Betroffenen auf die schnellstmögliche Anerkennung und Aufnahme Kataloniens in die EU hinarbeiten. Dagegen wirken die Drohungen eines isolierten neuen Staats wie ein Bademeister, der ruft: Wer quer schwimmt, den lass' ich ersaufen! Leider hat der Fall von Griechenland gezeigt, daß diese EU tatsächlich fähig ist, ein Land ersaufen zu lassen. Ob dies im Ernstfall auch mit Katalonien der Fall wäre, sei allerdings dahingestellt. Zum einen wäre die Isolation eines unabhängiges Katalonien, ein Land, das wirtschaftlich in einer Liga mit Finnland und Irland spielt, Sitz internationaler Organisationen ist und intensiv mit der EU verwoben, auch für die EU schwierig und schmerzhaft. Zum anderen besteht die EU nicht nur aus deutscher Ignoranz und britischer Angst vor einem Referenzfall. Sondern auch aus Estland, Lettland und Litauen, die ihre Unabhängigkeit aus der Sowjetunion durchsetzten. Aus Malta und der Republik Zypern, die erst vor wenigen Jahrzehnten vom Britischen Empire unabhängig wurden. Aus Tschechien und der Slowakei, die sich einvernehmlich trennten, und aus Kroatien und Slowenien, die ihre Unabhängigkeit aus Jugoslawien erkämpften. Kurzum, die EU schliesst viele kleine Staaten ein, die ihre Souveränität vor relativ kurzer Zeit aus größeren Nationen durchsetzen mussten. Vielleicht ist da das Verständnis für den katalanischen Wunsch Unabhängigkeit innerhalb der EU am Ende gar nicht so gering wie es die Welt und die FAZ suggerieren wollen.

Independència?


Bleibt zum Schluß noch ein Wort zur großen Frage: Wird Katalonien innerhalb der nächsten anderthalb Jahre ein neuer Staat in Europa? Nein.

Gut, vielleicht doch noch ein paar Worte mehr. Eine Unabhängigkeit Kataloniens ist schlicht nicht mehrheitsfähig. Dies zeichnete sich bereits mit dem Referendum zur Unabhängigkeit im November 2014 ab, welches durch massiven Druck aus Richtung Madrid zu einer unverbindlichen "Volksbefragung" wurde. Es gelang der Unabhängigkeitsbewegung unter sehr schwierigen Umständen, eine landesweite Abstimmung durchzuführen. Es durften keine Wahlregister verwendet werden, die katalanische Regierung und ihre Organe mußten sich aus der Organisation zurückziehen, die spanische Post weigerte sich sogar, Wahlbenachrichtigungen zuzustellen. Dennoch konnten alle Wahllokale mit freiwilligen Helfern besetzt werden, am Tag vor der Abstimmung hingen in allen Hauseingängen Informationen zum zuständigen Wahllokal, es war einer der vielen Demonstrationen der beeindruckenden Organisation und Entschlossenheit der Separatisten. Und es war von Anfang an klar, daß diejenigen, die unter diesen Umständen an der Befragung teilnehmen würden, sich mit großer Mehrheit für eine Unabhängigkeit aussprechen würden. Die bedeutendere Frage sollte die nach der Wahlbeteiligung sein - wie viele Menschen können für eine Abstimmung über eine Unabhängigkeit mobilisiert werden? Am Ende stimmten dann auch gut 80% der Teilnehmer für eine vollständige Unabhängigkeit Kataloniens, was als großes Symbol verkauft wurde. Dabei lang die Wahlbeteiligung bei gerade mal einem Drittel der Stimmberechtigten (eine exakte Zahl ist wegen der fehlenden Wählerverzeichnisse nicht verfügbar). Und dies ist eine krachende Niederlage für die Separatisten. Von mindestens 5,5 Millionen stimmberechtigten Bürgern konnten sie gerade einmal 1,9 Millionen Stimmen für eine Unabhängigkeit einsammeln, und es ist sehr zweifelhaft, daß unter den Nichtwählern eine Mehrheit eine Unabhängigkeit unterstützt.

Neben der Volksbefragung 2014 demonstriert die Unabhängigkeitsbewegung ihre Stärke am katalanischen Nationalfeiertag, dem Diada am 11. September. Dort schafft sie es nicht nur, gewaltige Menschenmassen auf die Strasse zu bringen, sondern beeindruckt mit Großaktionen. 2013 organisierte sie eine 400 km lange Menschenkette mit 1,6 Millionen Teilnehmern quer durch Katalonien. 2014 brachte sie 1,8 Millionen Menschen in die Strassen Barcelonas und ließ diese durch verschiedenfarbige Kleidung die katalanische Flagge in V-Form durch die Strassen formen. 2015 sollte laut Organisatoren ein neuer Höhepunkt werden und ein Fanal vor der Regionalwahl. Die Avinguda Meridiana, eine Verkehrsachse Barcelonas, wurde von einer weiß gekleideten Menschenmasse erfüllt, die mit Pappschildern eine Choreographie aus farbigen Wellen aufführte. Und auch wenn so beeindruckende Bilder zustande kamen, das Ziel der Veranstalter wurde verfehlt. Mit 1,4 Millionen Teilnehmern kamen nicht mehr, sondern deutlich weniger Teilnehmer als im Vorjahr zur Veranstaltung.
Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung konnte 2014 also bis zu 1,8 Millionen Menschen auf die Straße bringen und 1,9 Millionen Stimmen einsammeln. Damit scheint sie ihr Potential aber bereits voll ausgeschöpft zu haben. Aufbauen konnte sie darauf seitdem nicht weiter. Es scheint einen harten und bestens organisierten Kern von vielleicht 2 Millionen Menschen zu geben, die die Unabhängigkeit durchsetzten wollen. Von einer absoluten Mehrheit unter den 5,5 Millionen Wahlberechtigten sind sie damit aber deutlich entfernt. Deshalb glaube ich es auch nicht, daß Junts pel Sí in der Regionalwahl morgen eine absolute Mehrheit der Stimmet und damit die selbstgeforderte Legitimation erhält, ein unabhängiges Katalonien auszurufen. Und ich finde das auch kein kleinen bisschen schade. Eine Unabhängigkeitserklärung Kataloniens würde Europa kräftig durcheinander wirbeln. Und in diesen sedierten, bleiernen Zeiten ist fast alles, was durcheinander wirbelt, gut.

Der Präsident der autonomen Region Katalonien, Artur Mas, mag ein Typ Politiker sein, für den man keinerlei Sympathie aufbringen will und muß. Aber gestern formulierte er treffsicher. Die Frage nach der Unabhängigkeit Kataloniens werde nicht von den Märkten und nicht von der Nationalbank entschieden. Sie werde nicht von Obama und nicht nicht von Merkel und nicht vom spanischen Präsidenten Rajoy entschieden. Diese Frage werde morgen alleine vom katalanischen Volk entschieden. In diesem Sinne:

So if you meet me
Have some courtesy
Have some sympathy,
and some taste.
Woo woo!

Sonntag, 13. September 2015

Alte Hüpfer in neuen Schläuchen

Ach ja… Die Geschichte der Raumfahrt ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Das liegt wohl auch daran, daß es so wenigen Journalistinnen wichtig ist, dafür zu sprechen. So bleibt die Raumfahrt im Zuständigkeitsbereich des Wissenschaftsjournalismus, und das ist eigentlich gar kein Journalismus sondern PR im redaktionellen Teil.
Es kommt etwa vor, daß die NASA in einer Pressemitteilung Prototypen eines Landeroboters vorstellt, der auf der Oberfläche von Asteroiden oder Kometen herumhüpfen können soll. Der deutsche Wissenschaftsjournalismus greift eine Meldung mit exotischem Klang und von der NASA natürlich sofort auf - sowohl in seriösen Medien wie Spektrum.de als auch in unseriösen wie Focus Online. Was allerdings komplett fehlt ist irgendwelche Information, die über den Inhalt der NASA-Pressemitteilung hinaus ginge. Das wäre aber durchaus interessant und - hey: das wäre dann auch wirklich richtiger Journalismus!

Die Idee, hüpfende Landeroboter zu bauen ist nämlich weder besonders neu noch auf dem Mist der NASA gewachsen. Den Gedanken, daß auf Himmelskörpern mit sehr geringer Schwerkraft Hüpfen eine geeignete Fortbewegungsmethode wäre, stammt aus der Sowjetunion. Dort wurde in den 1980er Jahren ein hüpfendes Landegerät namens PrOP-F entwickelt und 1988 an Bord der Mission Phobos 2 zum kleinen Marsmond Phobos geschickt. 1989 hätte es dort herumhüpfen sollen, nur ging leider aufgrund eines Computerproblems der Kontakt zur Muttersonde verloren und der hüpfende Lander kam nie zum Einsatz.
Die japanische Weltraumagentur JAXA zog nach und entwickelte einen hüpfenden Lander names MINERVA. Der war erheblich kleiner als das sowjetische Model und der Antriebsmechanismus wurde von Armen und Federn hin zu Schwungrädern im Innern des Geräts modifiziert. Die Muttersonde Hayabusa brachte den kleinen springenden MINERVA-Lander zum Asteroiden Itokawa, wo er 2005 abgesetzt wurde. Leider ging das Landemanöver im wahrsten Sinne des Wortes daneben, der Lander verschwand in den Tiefen des Alls und verpasste ebenfalls seinen Einsatz.
Die Idee des Herumhüpfens ist damit aber noch nicht gestorben, sondern ein weiteres Land stieg in die Entwicklung ein: Die japanische Nachfolgemission Hayabusa 2 hat u.a. eine im wesentlichen in Deutschland entwickelte hüpffähige Landeeinheit namens Mascot dabei. Die ist 2014 gestartet und z.Z. auf dem Weg zum Zielasteroiden. Hoffentlich wird diesmal das Glück etwas gewogener sein.

Nachdem also die Sowjetunion, Japan und Deutschland hüpfende Landeroboter entwickelt und in den Einsatz geschickt hat, hat die NASA Prototypen eines eigenen Models vorgestellt. Das diese dabei nicht großartig auf Aktivitäten von anderer Seite hinweist ist ja nachvollziehbar. Wenn aber Journalisten die NASA-Verlautbarungen einfach nur abschreiben und als "die neueste Errungenschaft der US-Raumfahrtbehörde NASA" in den Raum stellen, dann ist das schon ein bisschen traurig. Aber wie gesagt, eigentlich ist Wissenschaftsjournalismus ja auch gar kein Journalismus, sondern bloß das Abschreiben von Presseverlautbarungen...

Donnerstag, 3. September 2015

Der Tod und das Bild

"Der Tod eines einzelnen ist eine Tragödie, der Tod von Millionen Statistik."
Josef Stalin

Heute geht mir ständig das Bild The Terror of War im Kopf herum: Ein kleines Mädchen läuft nackt, schwer verletzt und unter Schock mit ausgebreiteten Armen auf den Photographen Nick Út zu, als es vor einem Brandbombenangriff der US-Armee auf ihr Heimatdorf in Vietnam flieht.
Die Veröffentlichung des Photos war 1972 wegen der Nacktheit des Mädchens durchaus umstritten. Trotzdem entschied sich AP damals für die Veröffentlichung weil die Aussage des Bildes alle Bedenken überwiegen würde. Es wurde Weltpressephoto des Jahres 1972, gewann den Pulitzer-Preis 1973 und wurde das bekannteste Anti-Kriegs-Photo der Welt.
Dabei ist das Bild zugleich die größtmögliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Kindes: Eine Minderjährige wird nackt, verletzt und in einem völlig hilflosen Zustand mit Gesicht und namentlich der ganzen Welt gezeigt.
Der Photograph Út wird zitiert mit der Aussage: "When I presset the button, I knew: This picture will stop the war". Das hat es vielleicht nicht unmittelbar getan, aber es hat dazu beigetragen. Denn es zeigte, was sich hinter den Pressemitteilungen verbirgt, die wir auch heute noch ständig hören und die uns nicht im mindesten berühren: Bei dem Luftangriff sollen auch Zivilisten getötet worden sein, darunter mehrere Kinder. Das Bild zeigt direkt das dahinter stehende, unermessliche Leid, das diejenigen zu tragen haben, die nichts weiter getan haben als am falschen Ort zur Welt zu kommen.

Daran muß ich denken angesichts der Diskussion, ob denn Medien die Bilder von ersticken Flüchtlingen in einem Lastwagen oder von einem ertrunkenen Kind am Strand zeigen dürfen oder ob sie damit die Würde der Toten verletzen. Sie dürfen sie zeigen, sie müssen sie sogar zeigen! Denn ob mag einem nun passt oder nicht, die aktuellen Zahlen von erstickten oder ertrunkenen Flüchtlingen berühren uns nicht sehr. Menschlichkeit ist eine emotionale Angelegenheit, und Emotionen werden nun einmal schlecht durch Zahlen angeregt. Sieht man hingegen, wie die Leiche eines kleinen Kindes vom Strand aufgelesen wird, dann begreift man vielleicht, was es heißt, wenn wieder einmal hunderte Menschen, darunter auch Kinder, im Meer ertrunken seien weil sie nach Europa wollten. Es heißt, daß irgendwo wieder Polizisten oder Feuerwehrleute kleine Leichen in Turnschuhen und T-Shirt aus dem Meer ziehen und in Zinksärge legen müssen. Vielleicht begreift man dann eher, daß es nicht mehr so weiter gehen kann. Und an den Zuständen, die Tausenden den Tod bringen, für die sind wir mit verantwortlich.
Will man hier die Würde der Toten durch Nichtveröffentlichung der Bilder schützen, dann hilft man mit, eine menschliche Katastrophe in einer bequemen Verdrängung zu halten, irgendwo versteckt hinter abstrakten Zahlen. Und man gefährdet damit etwas wichtigeres als die Würde der Toten: Das Leben der Lebenden.