Mittwoch, 26. März 2014

Der Titanenwurz

Er hat es gut mit mir gemeint, jener anonyme Kommentator des letzten Posts, in dem ich mein Interesse an der Sauberkeit Shakiras kundtat. Er wies mich darauf hin, daß diese Dame in festen Händen sei. Und diese Hände gehören Piqué vom FC Barcelona. Um darauf zu antworten, muß ich ein bisschen ausholen und in die Vergangenheit zurück kehren (Boah, inzwischen schon erschreckend viele Jahre in die Vergangenheit, wenn ich mal so nachzähle…!).

Es war zu einer Zeit, da mich des Schicksals verschlungene Pfade für eine Weile nach München führten. Weniger verschlungen waren die Pfade, die mich dort eines abends in den Barbereich eines großen Münchner Kinos führten. Ich wollte unter Zuhilfenahme des einen oder anderen Cocktails eine angenehme Leichtigkeit im Kopf für eine angenehm leichte Spätvorstellung herstellen. Und während ich in die gewissenhafte Ausführung dieses Plans vertieft bin, betritt Oliver Kahn die Bar. Die älteren unter den Lesern werden sich noch erinnern, Oliver Kahn, das war einmal ein Torwarttitan beim FC Bayern. Aber das ist wirklich schon eine Weile her. Das muß zu der Zeit gewesen sein, als Uli Hoeneß noch in Talkshows stolz erklärte, ehrlich seine Steuern zu bezahlen.
Ich hätte dessen Erscheinen wahrscheinlich gar nicht bemerkt, denn da waren ja diese Cocktails und meine Aufmerksamkeit nicht mehr die beste. Aber meine Begleitung wies mich ganz dezent darauf hin: "Mensch, guck mal, da ist ja Oli Kahn!" Aber natürlich habe ich, gelassen und souverän wie ich nun mal bin, darauf hingewiesen, daß wir beide ja weder Fußballfans noch Bild-Leser-Reporter seien und es keinen Grund gäbe, ihn nicht einfach ungestört an der Bar seinen Kaffee trinken zu lassen (Für alle, die es noch nicht wußten: Ja, Oliver Kahn trinkt abends noch Kaffee!). Nach ein paar Minuten dann stand er wieder auf und verschwand in Richtung Toilette. Und da konnte ich nicht mehr an mich halten und mußte, in einem überraschenden Anflug von Geistesgegenwart, die Chance meines Lebens ergreifen. Auch ich stand auf, folge schnell zu den sanitären Einrichtungen und stellte mich ans Pissoir daneben. Und nach ein paar Sekunden und einem kurzen Blick zur Seite war alles klar.

In fußballerischer Hinsicht mag ich ja nicht mal mit der G-Jugend des TSV Niederdresselndorf mithalten können. Und doch habe ich heute noch genug Selbstvertrauen, um nicht voreilig zu befürchten, gegen Piqué den Kürzeren ziehen zu müssen…!

Dienstag, 25. März 2014

Thomas heisst er, ist Bademeister

Zwei kleine Kinder gleichzeitig zu versorgen, das führt quasi zwangsläufig zu einer routinierten Arbeitsteilung im Haushalt. So ist die Sorge um die abendliche Körperpflege immer meine Aufgabe, während die Mama parallel das Abendessen vorbereitet. Das bedeutet aber auch, daß die beiden Kleinen das Baden immer mit Papa in Verbindung bringen. So auch neulich abends.
Um auf dem Weg nach hause noch eine kleine Stärkung zu uns zu nehmen, saßen wir in einem kleinen Imbiss-Restaurant. In einer Ecke des Raums unter der Decke dudelte in einem Fernseher irgendein Musiksender vor sich hin. Die Kleinen, sich Salatschnipsel von Mamas Dönerteller in die Münder stopfend, starrten ganz gebannt auf den bunt flimmernden Kasten. Irgendwann dann lief das Video zu Shakiras Lied Addicted to you. Und in dem kurzen Moment, in dem sich Shakira im Video in einer Badewanne räkelt, ruft meine Tochter plötzlich ganz begeistert durchs Lokal: "Ahh! Papa baden!"
Ja, was soll man da sagen? Recht hat sie! Ich finde auch, daß ihr Vater ruhig mal Shakira baden könnte. Nicht, daß die noch mit Kacka am Popo ins Bett gehen muß! Und sollte sie demnächst mal abends in unserer Badewanne liegen, dann kann ich mich auch ganz professionell um sie kümmern:
Ich habe immer Quitscheente und Plastikschiffchen zur Unterhaltung griffbereit!

Neue Aufgaben warten...

Sonntag, 23. März 2014

This is propaganda

...you know, you know.*

Um über das Sprechen über die Ukraine und Russland zu sprechen, sprechen wir am besten erst einmal über Speck:
"Suppose the old type of salesmanship, acting for a meat packer, was seeking to increase the sale of bacon. It would reiterate innumerable times in full-page advertisements: 'Eat more bacon. Eat bacon because it is cheap, because it is good, because it gives you reserve energy.'
The newer salesmanship, understanding the group structure of society and the principles of mass psychology, would first ask: 'Who is it that influences the eating habits of the public?' The answer, obviously, is: 'The physicians.' The new salesman will then suggest to physicians to say publicly that it is wholesome to eat bacon. He knows as a mathematical certainty, that large numbers of persons will follow the advice of their doctors, because he understands the psychological relation of dependence of men upon their physicians."
Edward Bernays: Propaganda (1928)*

Nun muß nicht nur Speck, sondern auch eine politische Bewegung wie die des Maidan dem Deutschen verkauft werden. Und dieses Produkt ist nicht leicht zu vermitteln. Aus Abstand betrachtet besteht die Maidanbewegung aus einigen Tausend Menschen auf einem einzigen Platz in einer einzigen Stadt der Ukraine. Und sie sollen als Repräsentativ für 45,4 Millionen Ukrainer dargestellt werden (Was sie, wie wir inzwischen ja wissen, nicht sind und nie waren). Mehr noch, auch die Heterogenität dieser Gruppe, die wohl von idealistischen EU-BEgeisterten über Anhänger der korrupten Ex-Elite um Timoschenko bis hin zu stammen Faschisten reicht, sollte nicht zu offensichtlich werden.
Um ein solch schwieriges Produkt leichtgängig zu machen, braucht es Verkäufer, die der Deutsche sympathisch findet und denen er Vertrauen entgegen bringt. Und anstatt solche Personen mühevoll aus dem Nichts aufzubauen, liegt es nahe, Menschen zu nehmen, die in Deutschland schon eine gewissen Bekanntheit und Beliebtheit erfahren. Es ist offensichtlich, wen man wählte - es waren der Ex-Boxer Vitali Klitschko ("Oppositionsführer") und und die Sängerin und ESC-Gewinnerin Ruslana ("Stimme der Revolution") [*, *,*,*,*]. Es ist leicht, die öffentliche Meinung in Deutschland um eine einfache Pro-Maidan-Haltung zu sammeln, wenn der sympathische Boxer und die hübsche moderne Sängerin sagen, wer die Guten und wer die Bösen sind.

"The lecture, once a powerful means of influencing public opinion, has changed its value. The lecture itself may be only a symbol, a ceremony; its importance, for propaganda purposes, lies in the fact that it was delivered."
Edward Bernays: Propaganda (1928)

Wie Vitali Klitschko von Deutschland systematisch als Politiker aufgebaut wird [*], zeigt sich besonders schön an Klitschkos Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz Anfang Februar. Oder vielmehr daran, daß Klitschko eine Rede auf der Sicherheitskonferenz hielt. Denn an sich sollte doch die Tatsache, daß eine Person, deren politische Gehversuche sich im wesentlichen auf einen Abstecher in den Kiewer Stadtrat beschränken und die keine besondere demokratische Legitimation als Sprecher der Opposition hat, auf einer so hochkarätigen Konferenz spricht, stutzig machen. Und tatsächlich ist die Tatsache, daß Klitschko dort gesprochen hat, die eigentliche Botschaft. Die Botschaft ist, daß Klitschko der richtige Ansprechpartner in der Ukraine ist und die Führer des Westens ihm zuhören. Und die Botschaft ging am 2. Februar mit der Meldung "Klitschko hält Rede auf Sicherheitskonferenz" durch alle Nachrichten.

"The media through which a political campaign may be brought home to the public are numerous and fairly well defined. Events and activities must be created in order to put ideas into circulation, in these channels, which are as varied as the means of human communication."
Edward Bernays: Propaganda (1928) 

Neben einer Rede auf einer Konferenz gilt es natürlich, weitere Ereignisse herbeizuführen, die der Aufmerksamkeitsgewinnung und Vermittlung der eigenen Position dienen. Einfachster und am häufigsten beschrittener Weg in dieser Hinsicht ist natürlich ein Besuch auf dem Maidan in Kiew. McCain besucht den Maidan [*], Chodorkowski besucht den Maidan [*], Gabriel besucht den Maidan [*], jedes Mal sendet der Besuch einer auch nur halbwegs medialen Person eine Botschaft, die es zuverlässig in die Medien schafft.
In die Kanäle der Medien zu gelangen ist im Falle einer Krise allerdings gar nicht so schwer. Diese sind so sehr interessiert an einem zu vermeldenden Ereignis, daß sie zur Not auch noch ein Video mit dem reißerischem Titel "Steinmeier telefoniert mit Lawrow" verbreiten [*]. Und dabei manchmal auch unfreiwillig komische Titelzeilen produzieren:



"The extend to which propaganda shapes the progress of affairs about us may surprise even well informed persons. Nevertheless, it is only necessary to look under the surface of the newspaper for a hint to propaganda's authority over public opinion. Page one of the New York Times on the day these paragraphs are written contains eight important news stories. Four of them, or one-half, are propaganda. The casual reader accepts them as accounts of spontaneous happenings. But are they?"
Edward Bernays: Propaganda (1928)

Die Meldung eines Ereignisses kann sehr viel mehr bewirken, lässt man sie nur gekonnt aus dem Kontext fallen. Allein durch den Verzicht auf Einordnung und dem Herstellen von Beziehungen zwischen einzelnen Vorkommnissen bleiben alle Aussagen wahr, und doch bekommt die Meldung eine ganz andere Bedeutung. Ein ebenso einfaches wie eindrucksvolles Beispiel für dieses Vorgehen war der Test einer mobilen russischen Interkontinentalrakete am 4. März des Jahres. Mühelos schaffte es dieses Ereignis in sämtliche Krimkrisenliveticker, z.B.:

"Krise um die Krim: Russland feuert Interkontinentalrakete ab" [*]
"Konflikt in der Ukraine - Liveticker: Moskau testet Interkontinentalrakete" [*]
"KRIM-LIVE-BLOG Russland provoziert mit Raketentest" [*]

Nun sind solche Raketentests aber überhaupt keine Seltenheit. Und um einen Überblick zu bekommen, ist keine exotischere Quelle notwendig als die Wikipedia. Die Artikel "[Hier Jahreszahl einsetzen] in Spaceflight" sammeln alle Raketenstarts eines Jahres, auch wenn sie unterhalb einer Erdumlaufbahn verbleiben, und auch Tests militärischer Langstreckenraketen sind enthalten. Demnach war der letzte Test einer russischen Interkontinentalrakete vor dem 4. März am 27. Dezember 2013. Davor am 24. Dezember. Am 30. Oktober wurden gleich vier Raketen getestet. Der letzte Test davor war am 9. September. Davor am 6. Juni... Der Teststart vom März passt problemlos in das langfristige Schema russischer Raketentests und steht offenbar in keinem besonderen Zusammenhang mit der Krimkrise. Und wenn Russland häufiger Interkontinentalraketen testet als die USA (bei denen waren es 2013 fünf Teststarts), dann sollte man die Gründe wohl eher in Richtung des amerikanischen Raketenabwehrschirms suchen. Bemerkenswerterweise wissen die meisten Medien auch um den fehlenden Bezug zwischen dem Raketentest am 4. März und der Krimkrise, über die sie Livetickern, und schreiben dies irgendwo im Text mehr oder weniger deutlich dazu. Bei der Zeit z.B. begann eine Meldung im "Krim-Live-Blog" mit dem Satz "Russland hat eine mit Nuklearsprengköpfen bestückbare Interkontinentalrakete getestet." und endet nach langweiligen Details mit "Der Abschuss war offenbar bereits seit Längerem geplant. Die US-Regierung war zuvor über den Test informiert worden." [*] Was beim Leser solcher Raketentestmeldungen im Krisenticker bleibt, ist der Eindruck, im sich zuspitzenden Konflikt werden bereits die Atomraketen hervorgeholt. Um dies zu sehen, genügt ein Blick in die Leserkommentare zu den Meldungen. Die Medien freut's, können sie doch ernsthaft die selbst provozierten Fragen beantworten wie "Wie weit sind wir vom 3. Weltkrieg entfernt?" [*]

"By playing upon an old cliché, or manipulating a new one, the propagandist can sometimes swing a whole mass of group emotions."
Edward Bernays: Propaganda (1928)

Es ist natürlich offensichtlich, daß Emotionen leicht in die gewünschte Richtung gelenkt werden können, wenn nahtlos an schon bestehende Vorurteile angeknüpft werden kann. Und im Falle Russlands ist dies so unverschämt einfach, jeder Praktikant könnte das übernehmen. Schließlich ist Russland Nachfolger der Sowjetunion, und die war ein finsteres, tyrannisches Land, daß in seinem unersättlichen Machthunger nur darauf lauerte, den Westen zu zerfetzen. Und los geht's:

"Putin: Erneuerer des sowjetischen Imperiums" Welt
"Wladimir Putin strebt nach alter Sowjetmacht" RP online
"'Sowjetunion light' - Russlands Territorial-Hunger: Welche Staaten stehen noch auf Putins Speise-Karte?" Focus

Dazu noch ein Stalinvergleich der "Stimme der Revolution" Ruslana:
"Es ist Terror wie bei Stalin" [*]
und als Höhepunkt einen Blick auf die Titelseite der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 16. März:

(via meedia)

Vielleicht ist es feiner Sinn für Ironie, wenn deutschen Medien zu einem Ereignis, daß aus russischer Sicht die Korrektur eines Fehlers der Sowjetunion darstellt (nämlich die Umgliederung der Krim aus der Russischen an die Ukrainische Sowjetrepublik 1954), nichts weiter einfällt, als es in der Tradition der Sowjetunion zu interpretieren. Und Putin zugleich vorzuwerfen, er könne sich einfach nicht aus der überkommenen Logik des Kalten Krieges lösen.

"At the same time, the manipulators of patriotic opinion made use of the mental clichés and the emotional habits of the public to produce mass reactions against the alleged atrocities, the terror and the tyranny of the enemy."
Edward Bernays: Propaganda (1928)

Nach all den Assoziationen zur Sowjetunion sollte die Bereitschaft der Deutschen, den russischen Aggressoren jede Gräultat und allen Terror zuzutrauen, groß sein. Allein, es gibt so wenig tatsächliche Gewalt zu berichten. Kiew produzierte noch ein paar martialische Bilder von brennenden Barrikaden auf dem Maidan, aber auf der Krim? Als Golineh Atai für die Tagesschau am 1. März aus Simferopol berichten musste [*], stand sie noch vor einem Hintergrund, in dem allenfalls Katzen um die Mülltonnen zu schleichen schienen, und berichtete, daß von all der dramatischen Zuspitzung der Lage nichts zu sehen sei.
Screenshot Tagesschau vom 1. März.
Nur gut, daß Frau Atai gleich durch ihren Kollegen Stephan Stuchlik ersetzt wurde. Der gab sich sichtlich mehr Mühe und wählte für seine Reportagen wenigstens ein Weltkriegsdenkmal mit Panzer und Sowjetflagge als Hintergrund, damit, wenn schon sonst nicht viel dramatisches geschieht, wenigstens die Assoziationen von militärischer Invasion durch die neue Sowjetunion stimmen [*].
Screenshot Tagesschau vom 5. März.
Selbst ein Presseereignis konnte er am 16. März noch mit dramatisch wackelnder Handkamera präsentieren [*]. Vielleicht wollte der WDR ihm aber auch einfach nur keine Stativstange für das Mikrofon spendieren...
Natürlich sind aber auch inhaltlich subtile Ausgestaltungen gefragt. Etwa in der Tagesschau vom 18. März [*]. Zunächst heisst es dort in indirekter Rede noch vage: "Es habe eine Schiesserei auf einer Militärbasis gegeben. […] Angeblich wurde dabei ein ukrainischer Soldat getötet." Um gleich darauf die Einschätzung der pro-westlichen Regierung in direkter Rede wiederzugeben: Der Konflikt ist in die militärische Phase übergegangen, sagt der Ministerpräsident. Die Verantwortung dafür liegt bei russischen Soldaten. Und wo genau die Anführungszeichen dabei hingehören, wird vom hören nicht klar. Klar ist aber, welcher Eindruck beim Betrachter entsteht: Russische Soldaten haben eine ukrainische Militärbasis angegriffen und provozieren erfolgreich einen Krieg.

Man mag bis hierher vielleicht einwenden wollen, daß die Beispiele willkürlich ausgewählte Einzelfälle darstellen, die bei flüchtiger Betrachtung zu Mechanismen der Propaganda passen mögen. Daß der Vorwurf der Propaganda schon deshalb unsinnig sei, weil man mit diesem Begriff ein koordiniertes, durchgeplantes Vorgehen in Verbindung bringt. Und natürlich ist es abwegig anzunehmen, eine finstere Schattenregierung würde die Berichterstattung vom Focus-Liveticker bis zum Hintergundbild der Tagesschau durchchoreographieren. Doch das Perfide ist: Die Beeinflussung der Meinung erfolgt durch den flüchtigen Eindruck, nicht durch tiefe Exegese der Berichterstattung. Und sie funktioniert ohne zentrale Steuerung.
Viele Einflüsse lassen eine Eigendynamik der Berichterstattung entstehen: Natürlich ist es journalistisch logisch, die Demonstranten des Maidan anhand von Akteuren zu präsentieren, die das Publikum schon kennt und für die es sich eher interessieren wird als für irgendwelche (ihm) Unbekannten. Natürlich haben Liveticker kein Interesse an einer Beruhigung der Berichterstattung, leben sie doch von der Dramatik der Ereignisse. Da scheint es auf wirtschaftlichen Interessen legitim, auch mal eine nicht so ganz in den Zusammenhang passende Meldung in den Ticker zu nehmen, wenn es der Dramatik dienlich ist. Es kommt der Bequemlichkeit Publikums wie der Redakteure entgegen, in klar aufgeteilten Rollen von Gut und Böse zu denken. Und so manch ein Kommentator, der sein Handwerk noch im Kalten Krieg gelernt hat, kann endlich wieder seine eingeübten Reflexe des Antikommunismus aktivieren und Politik interpretieren, ohne sich neue Gedanken über die Weltordnung machen zu müssen.
Und aus all diesen Einzelfaktoren erwächst eine klar tendenziöse und in der Summe manipulative Berichterstattung, die den offiziellen nationalen Interessen entgegen kommt wie die Berichte über die gesundheitsfördernde Wirkung von Speck dem Speckproduzenten. Vom Vorwurf der Propaganda befreit diese Eigendynamik nicht. Sie erklärt jedoch, weshalb Journalisten den Vorwurf der Propaganda empört und wahrscheinlich mit bestem Gewissen zurückweisen. Sie haben tatsächlich nicht den Eindruck, staatlicher Propaganda zu dienen, sondern mit ihrer Berichterstattung einfach nur den eigenen Interessen zu folgen. Und da das in dieser Formulierung recht profan wirkt, spricht man lieber davon, "die Werte, die man für die richtigen hält, auch journalistisch zu verteidigen" [*]. So klingt es edler.

"Propaganda will never die out. Intelligent men must realize that propaganda is the modern instrument by which they can fight for productive ends and help to bring order out of chaos."
Edward Bernays: Propaganda (1928)

Dann wollen wir mal hoffen, daß die Propaganda in den Händen intelligenter Menschen liegt. In unser aller Interesse.

Dienstag, 18. März 2014

Sympathy for the devil

"…but what's puzzling you is the nature of my game…"

"Das Verständnis für die vermeintlichen Motive Moskaus ist beachtlich groß", findet Klaus-Dieter Frankenberger am 14. März in der FAZ, und er sieht den Antiamerikanismus als vermeintliches Motiv der  "Russlandversteher" in Deutschland. Auch Nico Fried wundert sich heute in der Süddeutschen darüber, wie nachsichtig die Deutschen gegenüber dem "offensichtlichen Fehlverhalten" Russlands sind. Er vermutet dahinter die Unsicherheit der Deutschen angesichts ihrer eigenen jüngeren Geschichte. Vulgo: deutsches Weicheiertum. Vielleicht sollte man aber einmal anders herum fragen: Weshalb reagieren die Herren Frankenberger und Fried und all die anderen aus den deutschen Meinungseliten mit solcher Empörung und solchem Unverständnis auf Russlands Durchsetzungsvermögen im Konflikt um die Krim? Offensichtlich falsch sind schließlich - Antiamerikanismus hin oder her - Drohnenkriege, Folter, anlasslose Überwachung des Privatesten, auch. Und niemand in Deutschland fordert Sanktionen, nicht einmal klitzekleine, symbolische.
Natürlich bietet sich das alte Schema des Kalten Krieges zur Erklärung an, in dem der linke Antiamerikanismus der Verteidigung der Freiheit gegen den russischen Bären im Wege steht. Aber es geht auch etwas moderner. Denn Putins Russland vermag zwei Dinge, die in Deutschland heute völlig undenkbar sind:

Erstens demonstriert Russland seine Fähigkeit, die eigenen Interessen gegen den Widerstand des Westens in seiner Form als EU und NATO durchzusetzen. Um dagegen das Ausmaß der politischen Hilflosigkeit Deutschlands zu erahnen, muß man dem nur einmal die Reaktion Deutschlands auf die massive Verletzung seiner Interessen durch die Überwachung durch die eigenen Verbündeten gegenüber stellen. Mitglieder der deutschen Regierung haben Wichtigeres zu tun (Innenminister Friedrich) oder sind nicht zuständig (Kanzlerin Merkel), erklären die Angelegenheit für beendet, bevor sie erst so richtig angefangen hat (Profalla). Und am Ende war alles nicht so schön, da müssen wir mal drüber reden, also, schwamm drüber und weiter so. Einen krasseren Gegensatz in der Fähigkeit zu Wahrung der Interessen als zwischen Russland und Deutschland kann man sich kaum denken.

Zweitens demonstriert Russland die Möglichkeit einer Politik, die sich nicht an den Anforderungen "des Marktes" orientiert. Und diese Politik war von einem gewissen Standpunkt aus auch ausgesprochen erfolgreich. Der staatliche Einfluß auf Russlands Rohstoffe hat nicht nur die russische Wirtschaft einigermaßen stabilisiert, sondern ermöglicht jetzt erst den Konfrontationskurs gegen den wirtschaftlich auf Russland angewiesenen Westen. Und selbst "Schockwellen an den Finanzmärkten" und der "Einbruch der Aktienmärkte in Russland" (Süddeutsche) im Zuge des Konflikts um die Ukraine mögen für deutsches Verständnis schlimmer sein als das Jüngste Gericht.  Für die russische Regierung sind sie offenbar kein Grund, die Politik sofort zu korrigieren, auf das sich die Märkte wieder beruhigen.

Man muß kein Freund russischer Machtpolitik oder "gelenkter Demokratie" sein, um als Deutscher von der russischen Politik beeindruckt zu sein. Denn sie zeigt, daß Politik auch anders funktionieren kann als in Deutschland. Und auch wenn man der russische Alternative nicht den Vorzug geben möchte, so ist allein die Existenz einer Alternative ein beeindruckendes Signal in einer Zeit und in einem Land, in dem alles getan wird um den Eindruck zu vermitteln, jenseits der Markkonformität könne es nichts geben, ja, nicht einmal gedacht werden.

Vielleicht muß man also keine deutsche Unsicherheit, keinen Antiamerikanismus und keinen Kalten Krieg bemühen, um die Empörung deutscher Eliten über Russland und das Verständnis in Teilen der deutschen Bevölkerung zu begreifen. Die wahre Provokation Putins besteht darin, sich nicht passiv in die alternativlose durchökonomisierte Denkweise des Westens zu fügen. Und damit auch noch Erfolg zu haben.

Donnerstag, 13. März 2014

So isses! (2)


"Die Nachfrage nach dem umstrittenen Betreuungsgeld ist nur schleppend angelaufen. In den ersten fünf Monaten wurde die als "Herdprämie" kritisierte Leistung nur für 64.877 Kinder ausgezahlt, teilte das Statistische Bundesamt mit."
Die Zeit, 13. März 2014


"Die Herdprämie wurde heftig kritisiert. Nun belegt die erste offizielle Statistik zum Betreuungsgeld: Die staatliche Leistung wird von mehr Eltern beantragt als angenommen."
SpOn, 13. März 2014

(Zur Statistik)

Freitag, 7. März 2014

Die Entwicklung der Krimkrise illustriert

1. März:
"Lage auf der Krim spitzt sich zu" (Tagesschau)
"Lage spitzt sich zu" (Berliner Kurier)
"Die Lage auf der ukrainischen Halbinsel Krim spitzt sich dramatisch zu" (SRF - Echo der Zeit)



2. März:
"Lage auf der Krim spitzt sich zu" (Tagesschau)
"Die angespannte Situation auf der Halbinsel spitzt sich zu" (taz)
"Die Lage auf der Krim spitzt sich zu" (Hannoversche Allgemeine)



3. März:
"Die Lage auf der Halbinsel Krim spitzt sich zu" (Süddeutsche)
"Die Lage auf der Krim spitzt sich zu!" (Bild)
"Die Lage auf der Krim spitzt sich zu" (NDR Aktuell)



4. März:
"Lage auf der Krim spitzt sich zu" (Handelsblatt)
"Lage auf Krim spitzt sich zu" (RTL)
"Die Lage auf der Krim spitzt sich zu" (Kölnische Rundschau)



5. März:
"Krim-Krise spitzt sich zu" (Tagesspiegel)
"Krim-Krise spitzt sich zu" (Nordbayrischer Kurier)
"Krim-Krise spitzt sich zu" (Berliner Zeitung)



6. März:
"Krim-Krise spitzt sich zu" (Deutschlandfunk)
"Die Lage auf der Krim spitzt sich weiter zu." (Radio Bremen)
"Krim-Krise spitzt sich zu" (n-tv)



7. März:
"Die Lage auf der Krim spitzt sich zu." (Focus)
"Derweil spitzt sich die Lage auf der Krim zu." (Südwestpresse)
"Auf der Krim spitzt sich die Situation weiter zu." (Bild)


Sonntag, 2. März 2014

Crimea libre

Ärger im Vorgarten der USA:
Nachdem eine Revolution das pro-amerikanische Regime Batista aus Kuba vertrieben hat, sollen die USA von ihnen aufgestellte und koordinierte Truppen in die Schweinebucht entsendet haben. Die Invasoren werden von US-amerikanischem Militär ohne Hoheitskennzeichen unterstützt [*].
Mit ungewohnt harten Worten warnte der sowjetische Premier Chruschtschow die USA vor einer militärischen Einmischung in Kuba [*].


Ärger im Vorgarten Russlands:
Nachdem eine Revolution das pro-russische Regime Janukowitsch aus der Ukraine vertreiben hat, soll Russland von ihm aufgestellte und koordinierte Truppen auf die Halbinsel Krim entsendet haben. Bei den Invasoren soll es sich um russisches Militär ohne Hoheitskennzeichen handeln [*].
Mit ungewohnt harten Worten warnte der amerikanische Präsident Obama Russland vor einer militärischen Einmischung in der Ukraine [*].

20th Century's not dead - it just looks differently...