Samstag, 20. Juli 2013

Der falsche Feind meines Feindes

Alexej Navalny auf einer
Kundgebung der
rechtsextremen
"Nationalbolschewistischen
Partei Russlands".
(Quelle: drug-goy)
In den letzten Tagen hört und liest man viel über den russischen Blogger, Antikorruptionskämpfer und "Kremlkritiker" Alexej Navalny. Als "unliebsamer Regierungskritiker" (SpOn)  solle er durch eine Verurteilung wegen Veruntreuung "mundtot gemacht werden". Manche Medienberichte steigern sich geradezu ins Hymnische, wie z.B.:
"'Navalny, Navalny!': Unter ohrenbetäubendem Jubel Hunderter Anhänger steigt der Kremlgegner Alexej Navalny nach seiner vorläufigen Freilassung in Moskau mit geballter Faust aus dem Zug. Lauter Beifall brandet auf, Wartende strecken dem 37-Jährigen Navalny und seiner Frau auf dem Jaroslawski-Bahnhof Blumen entgegen. Die Rückkehr am Samstag aus dem Gerichtsort Kirow gerät für den bekannten Blogger zum Triumphzug." 
Doch was in all den Berichten schmerzlich zu kurz kommt, ist eine Einordnung der politischen Gedankenwelt des attraktiven, kämpferischen jungen Mannes. Jedenfalls eine Einordnung, die über ein dumpfes irgendwie gegen Putin sein hinausgeht. Doch seine Gedankenwelt hat es durchaus in sich...
DWüdW aber hat ihre Freunde überall. So bietet die DWüdW-Russlandredaktion* eine kleine Übersicht:

Man könnte da etwa mit diesem bizarren, von Herrn Navalny auf YouTube eingestellten Video beginnen, das zu einer Kampagne für die Liberalisierung des Waffenrechts in Russland gehört. Die Botschaft: Wenn Ungeziefer ins Haus kommt, hat man eine Fliegenklatsche. Wenn die Karikatur eines kaukasischen Terroristen ins Haus kommt, sollte man eine Pistole zur Hand haben:


Ein anderes interessantes Video des Herrn Navalny ist z.B. dieses. Es zeigt den Teilnehmer einer Demonstration beim Erklären der Unzufriedenheit des russischen Volkes mit der Politik.


Den Kontext dieser Äußerungen erkennt der Betrachter, wenn er einen Blick auf das Fahnenmeer im Hintergrund wirft. Offenbar handelt es sich um eine frühere Kundgebung der inzwischen verbotenen (aber immer noch aktiven) rechtsextremen Nationalbolschewistischen Partei Russlands. Und damit sind wir endgültig im geistigen Umfeld Alexej Navalnys angekommen.
Nehmen wir noch ein Interview, das er dem russischen Onlinemagazin Lenta.ru gab. Das Interview ist schon etwas älter, vom November 2011. Da es aber immer noch auf Herrn Navalnys Blog verlinkt ist, scheint er weiterhin dazu zu stehen. Anlass des Interviews war die Tätigkeit Navalnys im Organisationskomitee des "Russischen Marschs". Der "Russische Marsch" ist eine jährliche Protestveranstaltung russischer Ultranationalisten. Das Interview ist ziemlich umfangreich, wir picken daher nur ein paar Stellen mit deutscher Übersetzung heraus:
Лента.ру: Алексей, зачем ты идешь на "Русский марш"?
Алексей Навальный: Я иду на "Русский марш" уже четвертый раз, и каждый год мне задают этот достаточно странный вопрос. Каждый год я подробно объясняю, что у меня достаточно простая позиция: есть некие политические факты, или просто факты: вот есть солнце, вот есть небо, Волга впадает в Каспийское море, хипстеры любят носить очки в пластмассовой оправе, а в России существует "Русский марш".
Lenta.ru: Alexej, warum gehst Du zum „Russischen Marsch“?

Alexej Navalny: "Ich gehe zum „Russischen Marsch“ bereits zum vierten Mal, und jedes Jahr stellt man mir diese ziemlich merkwürdige Frage. Jedes Jahr erkläre ich ausführlich, dass ich eine ziemlich einfache Position vertrete. Es gibt gewisse politische Fakten oder einfach so Fakten: Es gibt die Sonne, es gibt den Himmel, die Wolga fließt ins Kaspische Meer, und in Russland gibt es den „Russischen Marsch“. "
Лента.ру: В чем смысл шествия русских? Зачем оно вообще нужно?
Алексей Навальный: "Русский марш" появился в результате эволюции националистического движения в России. Я считаю динамику этой эволюции совершенно положительной и позитивной...
Lenta.ru: Wo liegt der Sinn des Demonstrationszuges der Russen? Wozu braucht man ihn überhaupt? 

Alexej Navalny: "Der „Russische Marsch“ ist als Ergebnis der Evolution der nationalistischen Bewegung entstanden. Ich finde die Dynamik dieser Evolution absolut positiv..."
Лента.ру: Считаешь, что нужно вводить визовый режим со странами Средней Азии?
Алексей Навальный: Да. И я не вижу в этом предложении ничего радикального. Американцы голосовали за стену с Мексикой. Обама голосовал за строительство стены с Мексикой. А мы боимся визовый въезд вводить.
Lenta.ru: Bist Du der Meinung, dass man Einreise mit Visa mit den Ländern des Zentralasiens [d.h. den früheren zentralasiatischen Sowjetrepubliken] einführen sollte?

Alexej Navalny: "Ja. Ich sehe in diesem Vorschlag nichts Radikales. Die Amerikaner haben für die Mauer zu Mexiko gestimmt. Obama hat für den Bau der Mauer mit Mexiko gestimmt. Und wir haben Angst, eine Visumpflicht einzuführen."
Лента.ру: Ты периодически приводишь в пример Ле Пена.
Алексей Навальный: Ле Пена я привожу в пример в качестве того, что существует вполне себе респектабельный и легальный политик в Европе, риторика которого, опять же, гораздо жестче, чем риторика ДПНИ по некоторым вопросам. И ничего во Франции не случилось от этого ужасного.
Lenta.ru:  Du bringst von Zeit zu Zeit [den französischen Rechtspopulisten Jean-Marie] Le Pen als Beispiel.

Alexej Navalny: "Ich bringe Le Pen als Beispiel dessen, dass es einen respektablen und legalen Politiker in Europa gibt, dessen Rhetorik, wieder mal, viel härter ist als die Rhetorik der DPNI [→ die rechtsextreme und ca. ein halbes Jahr vor dem Interview verbotene russische "Bewegung gegen illegale Einwanderung"] in einigen Fragen. Nichts Schlimmes ist in Frankreich deswegen passiert."
Лента.ру: Ты считаешь его респектабельным?
Алексей Навальный: Извини меня, он легально существующий, он прошел во второй тур. Да, он респектабельный политик, конечно. За него голосует огромное количество людей, естественно. Он там реально существующий политик. Чего ж мне его не считать респектабельным?
Lenta.ru: Du hältst ihn für respektabel?

Alexej Navalny: "Entschuldige, er ist ein legaler Politiker, er hat es in die 2. Runde [der französischen Präsidentschaftswahlen] geschafft. Ja, er ist ein respektabler Politiker, natürlich. Für ihn stimmen Unmengen von Menschen, natürlich. Er ist dort [in Frankreich] ein real exisitierender [?] Politiker. Warum sollte ich ihn nicht für respektabel halten?"

Wer sich also versucht sieht, Herrn Navalny zum strahlenden Helden einer Opposition gegen ein undemokratisches System zu erheben, der möge sich doch an die Weisheit eines Funny van Dannen erinnern: "Auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein". Und jemand, der den durchaus kritikwürdigen Kreml kritisiert, kann trotzdem ein rechtspopulistischer Nationalist sein, mit dem man wahrlich nicht auf ein Bier gehen möchte...

* Dieser Post entstand, nachdem eine russische Freundin sich
betrübt darüber gezeigt hatte, westliche Medien schrieben den
Falschen zum Helden der russischen Opposition hoch.
Mit besonderem Dank an P. aus B.!

4 Kommentare:

  1. Völlig richtig. die Leute sind vielfach so damit beschäftigt, wegen Putin Schaum vor dem Mund zu haben, dass sie sich die Leute gar nicht genau anschauen, die gegen Putin sind.

    An Putin und seinem Hof gibt es wirklich genug zu kritisieren. Er driftet zunehmend ins Autoritäre, die ohnehin schon schwächliche Rechtsstaatlichkeit in Russland wird immer weiter ausgehöhlt, und Willkür und Korruption blühen.

    Und Nawalny setzt mit dem Kampf gegen Korruption auf ein würdiges Pferd. Was an dem Spektakel um Nawalny besonders ärgerlich ist: Da hat man endlich mal einen, der vielleicht das Zeug hat, die Opposition auf Linie zu bringen und die putinkritischen Wähler zu mobilisieren, und dann ist es so ein nationalistischer Le-Pen-Fan. Wenn der Mann Präsident würde, wäre das sicher kein Grund zum Jubel.

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    1. Ja, er setzt sich gegen Korruption ein, aber nicht aus Begeisterung für Demokratie und eine offene Zivilgesellschaft, sondern um Putin rechts zu überholen.
      Das erinnert mich so ein bisschen an die westliche Unterstützung für die afghanischen Mudschaheddin, als diese gegen die Sowjets kämpften - bis man dann sehr spät merkte, daß die doch keine Freunde waren...

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    2. Stimmt, da gibt es Gemeinsamkeiten.

      Das ganze ist ein Dilemma. Einerseits ist es recht und notwendig, gegen staatliche Willkür, politisch motivierte Rechtsbeutung usw. zu protestieren und die Opfer nach Möglichkeit in Schutz zu nehmen, auch von außerhalb Russlands aus. Aber dieses In-Schutz-Nehmen der Opfer sagt nichts darüber aus, ob diese Leute nicht anderweitig Dreck am Stecken haben, für den sie zur Rechenschaft gezogen gehören.

      Und wenn man in einem konkreten Fall für einen Angeklagten wie Nawalny eintritt, muss man trotzdem nichts mit ihm zu tun haben wollen und kann ihn immer noch für einen Brandstifter halten, der das Potenzial hat, großen Schaden anzurichten.

      Das erinnert mich ein bisschen an Chodorkowski, der wohl auch vor allem deshalb eingesperrt wurde, weil er Putin zu gefährlich hätte werden können. Der Tatbestand, für den er verurteilt wurde, kommt mir fabriziert und einigermaßen lächerlich vor. Andererseits dürfte er reichlich echten Dreck am Stecken haben, sodass es mit ihm wenigstens keinen Unschuldigen getroffen hat (ich bin überzeugt, dass es im Russland der 90er Jahre praktisch unmöglich war, ein Milliardenvermögen auf ehrliche Art zusammenzutragen; wenn er inzwischen tatsächlich geläutert sein sollte, freut mich das, ändert aber nichts an der dunklen Vergangenheit). Wenn, dann sollte man die Leute für Dinge vor Gericht stellen, die sie tatsächlich getan haben.

      Durch solche Schauprozesse mit höchstwahrscheinlich manipulierten Beweisen und mutmaßlich vom Kreml im Voraus diktierten Urteilen disqualifiziert sich die Justiz natürlich vollends, und ich finde es bedenklich, dass das weithin gleichgültig hingenommen wird.

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  2. Auch Vollpfosten verdienen ein rechtsstaatliches Verfahren.

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