Montag, 1. Oktober 2012

Genmais to go

Wie einfach könnte alles sein, wenn man nicht so genau hinsehen würde. Dann würde man von einem Koch erwarten, daß er anständig kocht. Von einem Steuerberater würde man erwarten, daß er einen gut in Steuerfragen berät und von einem Wissenschaftler, daß er gute Wissenschaft macht. Leider ist es nicht so einfach. Was gutes Essen und gute Steuerberatung sind, das vermag man ja noch dank seiner Geschmacksnerven und dem Steuerbescheid zu beurteilen. Aber was ist schon gute Wissenschaft?
Aus der Sicht eines Politikers ist die perfekte Wissenschaft eine Wissenschaft, die nicht viel kostet, die jede Menge Exzellenz enthält (in Ermangelung einer klaren Vorstellung davon, was diese "Exzellenz" eigentlich sein soll, meint man hier den score in irgendwelchen Rankings), und die bestätigt, was man ohnehin immer schon gewußt hat.
Für Universitäten ist das natürlich etwas ganz anderes. Wir erinnern uns, Universitäten, das waren diese steuerfinanzierten Institutionen, die die Freiheit und Unabhängigkeit von Forschung und Lehre gewährleisten sollten. Bei einer Universität kommt es drauf an... Wobei, lassen wir doch Herrn Helmut Schmidt in seiner Funktion als Präsident der TU Kaiserslautern zu Wort kommen. Klarer und ehrlicher kann auch sonst niemand auf den Punkt bringen, was für eine moderne Universität einen brillanten Wissenschaftler ausmacht:
"Wenn jemand seit zehn Jahren ein Drittmittelprojekt nach dem anderen an Land zieht, hat er gezeigt, was er kann. Dann muss ich als Hochschule auch bereit sein, das Risiko zu übernehmen und seinen Vertrag zu entfristen."
Und dann sind da noch die Medien. Was diese sich unter einem perfekten Wissenschaftler vorstellen, das hatte die Journalistik-Professorin Beatrice Dernbach vor einiger Zeit zusammengefasst:
"Der Wissenschaftler von heute (und die Wissenschaftlerin natürlich auch) ist idealerweise ein Multitalent: Er muss erfolgreich forschen zu spannenden Themen, die medial attraktiv und gut umzusetzen sind. Er muss seine Erkenntnisse möglichst verständlich und unterhaltsam darbieten. Er sollte ein dickes Fell mitbringen und die Unterhalterqualitäten eines Moderators."
Klar, jeder darf einen Weihnachtswunschzettel schreiben. Aber es genügt eigentlich, den dann aufs Fensterbrett zu legen, damit das Christkind ihn findet. Man muß ihn dafür gar nicht bei der Süddeutschen veröffentlichen. Frau Dernbach wünscht sich als Wissenschaftler eben eine Mischung aus Einstein und Harald Schmidt zu seinen besten Tagen, der über Dinosaurier mit echt langen Zähnen forscht. Aus Journalistensicht ist dieser Wunsch ja auch verständlich. Nur warum sich die Schreiberlinge bei Wissenschaftlern ein dickes Fell wünschen, das ist dann doch nicht so unmittelbar einsichtig. Vielleicht, damit sich diese nicht zu sehr ärgern, wenn sie, nachdem sie dem einen Einblick in ihre Arbeit gegeben haben, am Ende so bodenlos unverschämte Sätze über sich in der Zeitung lesen müssen wie z.B. "Über seinen Bauchansatz spannt sich ein kariertes Hemd, er trägt Sandalen und Wollsocken von Oma." (Die Zeit) oder "Die Arme von ... schlackern umher wie bei einem viel zu groß geratenen Jungen. Die Kleidung hängt am Körper wie an einer Bohnenstange" (Unispiegel). Hier ist nämlich Verständnis gefragt. Leser erwarten nicht nur Informationen, sondern auch die Bestätigung ihrer Vorurteile. Und außerdem wird ein Journalist von Welt, der weiß, daß eine Brille entweder fingerdicke (U40) oder gar keine Ränder (40+) hat und daß man eine Latte to go aus 100% pure Arabica macht, schon beurteilen können, wie Scheiße diese Wissenschaftler nun mal alle aussehen, gell?
Wie bin ich jetzt eigentlich darauf gekommen? Richtig, der Spiegel hat einen Skandal aufgespürt. Wissenschaftler haben über Umwege eine Studie, die Gesundheitsgefahren durch genveränderten Mais belegen soll, Medien vor der eigentlichen Veröffentlichung angeboten, sofern diese zusicherten, keine anderen Experten zum Thema zu befragen. Und wo ist das Problem? Keine Ahnung. Hier hat man doch ein Musterbeispiel erfolgreicher moderner Forschung! Die Wissenschaftler haben eine Studie erstellt und sie in einem respektablen Fachmagazin untergebracht. Und dann haben sie ihre Ergebnisse mit einer cleveren und erfolgreichen PR-Strategie unter die Menschen gebracht. Was kann man von Forschern mehr erwarten?
Das ist keine gute wissenschaftliche Praxis? Stimmt. Aber wo taucht die denn als Maßstab und Anforderung an exzellente Wissenschaft noch auf? Nirgends und am wenigsten bei Journalisten. Wenn man hemmungslose Selbstvermarktung und Skandalisierung fördert, dann bekommt man am Ende hemmungslose Selbstvermarktung und Skandalisierung. Eine verblüffende und brutale Einsicht. Aber vielleicht klärt ja irgendwann einmal eine wissenschaftliche Studie auf, weshalb man im Leben eigentlich so auffallend oft das serviert bekommt, was man vorher selbst bestellt hat...

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