Mittwoch, 28. September 2011

30 000 Jahre Fehlentwicklung

Berlin, 2011 n. Chr.:
"Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Internetabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Deutschland vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Internetnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie im Internet verbringen.
Dazu erklärt die Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Computerspiel- und Internetsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein. Die Broschüre "Online sein mit Maß und Spaß" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist unter : http://www.bzga.de/infomaterialien/suchtvorbeugung/ abrufbar."

Bonn, 1963 n. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Heinz Müller, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Fernsehabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Deutschland vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Fernsehnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit Fernsehen verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Fernsehsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Sendung "Fernsehn gucken mit Maß und Spaß" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird im Spätprogramm ausgestrahlt."

Berlin, 1938 n. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte des Führers, Hermann Göring, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Radioabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen im Großdeutschen Reich vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Radionutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit dem Hören von Stimmen aus dem Radio verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Radiosucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Das Programm "Radio hören mit Maß und Spaß" der Reichszentrale für gesundheitliche Aufklärung hören sie gleich nach der Rede des Führers"

Potsdam, 1468 n. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte von Kaiser Friedrich III, Albrecht VI, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Buchabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Buchnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit dem Lesen frisch gedruckter Bücher verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Buchsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Broschüre "Buchdruck mit Maß und Spaß" der Heiligen Reichszentrale für gesundheitliche Aufklärung befindet sich z.Z. im Druck."

Kiš, 2600 v. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte des Gottkönigs Enmebaragesi, Šamšu, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Keilschriftabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Sumer vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Keilschriftnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit dem Betrachten von in Tontafeln gedrückten Keilen verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Keilschriftsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Broschüre "Keilschrift mit Maß und Spaß" der Sumerischen Zentrale für gesundheitliche Aufklärung ist abrufbar, sobald der Ton getrocknet ist."

Chauvet, 30 000 v. Chr.:
"Die Drogenbeauftragte des Stammesältesten, Ugah Ughh, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Höhlenmalereiabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Höhlenmalereinutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie beim Betrachten von an Höhlenwände gemalte Handabdrücke und Jagdszenen verbringen.
Dazu stammelte die Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Höhlenmalereisucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Broschüre "Höhlenmalerei mit Maß und Spaß" der Sippenzentrale für gesundheitliche Aufklärung finden sie an der großen Wand in der Haupthöhle."

Freitag, 23. September 2011

Großer Geist mit großer Verspätung

Was mußte man während der letzten Tage nicht alles über den Papst lesen, mal von mehr, mal von weniger bekannten Persönlichkeiten. Zum Beispiel:

Annette Schavan: Der Papst ist "einer der größten Denker unserer Zeit" (taz).
Wolfgang Thierse: Der Papst ist ein "hochgradiger Intellektueller" (Süddeutsche).
Manfred Lütz: Der Papst ist "einer der großen modernen Intellektuellen" (focus).
Marco Politi: Der Papst ist "ein großer Intellektueller" (Mainpost).
Winfried Kretschmann: Der Papst hat "intellektuelle Brillanz" (Badische Zeitung).
Ludger Hölscher: Der Papst ist "ein Genie, ein Intellektueller" (Schweriner Volkszeitung).
Arno Makowsky: Der Papst ist "unbestritten einer der großen Intellektuellen unserer Zeit." (Abendzeitung)

Da habe ich mich dann ja schon mal gefragt, was zum Teufel denn den Papst zu so einem brillanten Intellektuellen unserer Zeit macht? Das intensive Studium seiner Habilitationsschrift Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura wird die obigen Kommentatoren doch wohl kaum so in Begeisterung versetzt haben? Und ob Vorträge zum Thema Liturgie und Kirchenmusik einen so entscheidenden Beitrag zu den Problemen unserer Zeit lieferten?
Heute ist mir dann endlich klar geworden, weshalb der Papst ein für unsere Tage so wichtiger Denker ist! Die Süddeutsche Online hat's geschrieben:
Papst würdigt Luther
Eine große Leistung in unserer Zeit! Nicht nur, daß ein Papst gerade mal 350 Jahre nach Galileo Galileis Tod feststellen konnte, daß dieser, gut, nicht direkt so komplett recht gehabt hatte - aber doch zumindest nicht ganz so gottlos war wie erst gedacht. Und nun, schlappe 465 Jahre nach seinem Tod wird auch Martin Luther von einem Papst gewürdigt! Jetzt ist es endlich offensichtlich, daß die katholische Kirche, die sich ja bewußt nicht vorschnell dem schnellebigen Zeitgeist anpassen will, viel zur modernen Welt zu sagen hat! Und es gibt auch Hoffnung, wenn man die Zeitintervalle mal so auf andere Denker anwendet. Und von Hoffnung lebt die Kirche ja:

So um das Jahr 2212 sollte ein Papst dann anerkennen, daß Kants Kritik der reinen Vernunft auch einen interessanten Beitrag eines Christen zur Geistesgeschichte darstellt.
Schon 2290 dürfte auch Charles Darwin dran sein. Der hat sich zwar bestimmt geirrt, war aber laut zukünftigem Papst sicher trotzdem irgendwie ein großer Gottsuchender.
Und im Jahre 2378 dann sollte auch Bertrand Russell darauf hoffen können, daß er, obwohl er in der Hölle schmoren muß, zu Lebzeiten in einzelnen philosophischen Theoriefragen auch aus Sicht der Mutter Kirche nicht komplett unrecht hatte.

Ach, wie würden wir uns nur ohne die großen Intellektuellen in der katholische Kirche in unserer Zeit zurechtfinden?
Amen.

Mittwoch, 21. September 2011

Der Papst focussiert

Nur noch Stunden, bis der Papst in Deutschland eintrifft, und Matussek hat uns noch gar nicht mit seinen religiösen Entrückungen beglückt. Schade eigentlich, und so stößt auch gleich der Focus Online in das papistische Publikationsvakuum - nicht in Ekstase, sondern in einer seiner bewährten rationalen, auf Fakten basierten Analysen. Huahaha, kleiner Scherz! Aber der Focus versucht tatsächlich, "Zehn Irrtümer über den Papst" aufzuklären. Heraus kommt der zu erwartende unsägliche Schwachsinn, den selber wieder klarzustellen einen noch längeren Text erfordern würde (Kostprobe gefällig? "Benedikt ist ebenso ein „grüner“ wie ein „politischer“ Papst, weil er die ganze Welt durch das Brennglas der Eucharistie sieht."). Da aber, wo sich der Focus auf fulminante Weise selbst widerspricht, entwickelt sich auch für den Nicht-Papisten die schaurig-schöne Faszination der katholischen Idiotie.

So dürfen natürlich die üblichen Verrenkungen zum Thema Kondome und AIDS nicht fehlen:
"Zum kondomisierten Geschlechtsverkehr kann er schon deshalb nicht aufrufen, weil damit nur ein „safer sex“, eine sicherere, aber keine absolut sichere Art des sexuellen Umgangs erreicht werden kann." Ein Glück, daß wir noch mit Segen des Vatikans Aspirin nehmen dürfen, wo es doch die Kopfschmerzen wahrscheinlich, aber nicht absolut sicher zum Verschwinden bringen kann. Und ein paar Focus-Zeilen später ist der "kondomisierter Geschlechtsverkehr" nicht mal mehr eine "sicherere Art des sexuellen Umgangs": "Der US-amerikanische Aidsforscher Edward C. Green aus Harvard erklärte 2009, es gebe keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem verstärkten Gebrauch von Kondomen und einem Rückgang der HIV-Infektionsrate." Ja, und der US-amerikanische zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling erklärte, daß man mit genug Vitamin C so ziemlich jeden Krebs heilen könne. Und der deutsche Professor Dr. Meyl behauptet, daß Mondfinsternisse Neutinos auf die Erde bündeln und so Erdbeben auslösen würden. Sonst noch für irgendeine steile These ein Gewährsmann gebraucht?
Aber die Nutzlosigkeit von Kondomen ist ja kein Problem, der Papst hat ja seinen ausgefeilten Plan B: "Er appelliert an einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Sexualität, der Treue und gegebenenfalls auch Enthaltsamkeit einschließt." Und nachdem der Papst das AIDS-Problem mit dem raffinierten Rezept "Treue und Enthaltsamkeit" gelöst hat, wird er dann hoffentlich endlich die Kriege aus der Welt schaffen. Das Geheimkonzept soll schon, von dem großen Intellektuellen auf dem heiligen Stuhl persönlich ausgearbeitet, in den Schubladen des Vatikans bereitliegen: "Einfach nicht schießen"!

Aber bevor wir uns verzetteln lieber wieder zurück zum Focus.
Als Nicht-Kathole kann es einem zwar egal sein, aber er erklärt uns zum Irrtum Nummer 7 auch noch, warum der Ausschluß von Frauen vom katholischen Priesteramt keine geschlechtsspezifische Diskriminierung darstellt: Die Glaubenskongregation stellte 1998, so der Focus, faktisch unfehlbar fest, daß Frauen keine Priester werden dürfen. Daher sei auch der aktuelle Papst an diese Entscheidung gebunden, und folglich: "Eine Diskriminierung von Frauen liegt damit nicht vor." Und selbst wenn man mal der hirnerweichenden These folgt, daß eine Diskriminierung keine mehr ist, sobald sie durch eine "faktisch unfehlbare" Entscheidung zementiert wurde - zum Irrtum Nummer 2 behauptete der Focus selbst noch ganz richtig, daß die wenigsten Glaubenssätze unfehlbar seien, und das letzte unfehlbare Dogma die 1950 festgeschriebene leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel gewesen sei.

Da sollte man die "atheistischen Lobbyvereine" (Focus) wie die Giordano-Bruno-Stiftung wirklich zu schätzen wissen. Im Gegensatz zu katholischen Lobbyvereinen wie dem Focus Online argumentieren die wenigstens in sich konsistent.

Dienstag, 20. September 2011

Ich kriech die Krise

Da klickt man vor dem Schlafen gehen noch mal schnell auf sueddeutsche.de, vielleicht gibt's ja noch was Neues am Abend, und was liest man dann gleich oben in prominenter Position? Das:
Warnung des Internationalen Währungsfonds:
"Aaaach duuuu Scheiße!", dachte ich da sofort, "Wir sind am Abgrund! Geliefert!" Und sicher wird der Leser hier jetzt nicht weniger aufgewühlt sein in seiner Sorge, als ich es war. Und er wird es nachvollziehen können, daß ich sofort so viel wie möglich über die gefährliche Lage wissen wollte, in der wir uns mit der Weltwirtschaft befinden. Also habe ich gleich mal auf sueddeutsche.de gesucht, was es sonst noch zum Thema gibt. Hier eine (ganz) kurze Trefferauswahl:

Konjunkturprognosen für Deutschland

Europa in der Krise

Folge der Krise

Welt in der Schuldenkrise

Finanz- und Wirtschaftskrise

Globale Wirtschaftskrise

Wirtschaft in der Krise

Finanzwelt in Aufruhr

Finanzkrise

Börsen

Aquariumsgespräch mit Ifo-Chef Sinn

Finanzkrise

Offene Immobilienfonds

Wirtschaftskrise

Evian
"Nur wenige Stunden haben die europäischen Staats- und Regierungschefs beim Gipfel im französischen Evian, um gemeinsam mit dem US-Präsidenten über Wege aus der weltweiten Wirtschaftskrise und den Kampf gegen den Terror zu sprechen."

Und nachdem mir dank des heutigen Artikels nun überraschend klar geworden ist, wie unglaublich tief wir in der Krise stecken, werde ich mich gleich bestimmt nur schlaflos hin und her wälzen können um mich die ganze Nacht über apokalyptischen Visionen hinzugeben.
Also, wenn jetzt noch jemand herausfinden sollte, daß die Jugend immer dümmer wird und keinen Respekt mehr vor dem Alter hat, und daß wir alle sterben müssen - ich glaube, ich wüßte nicht, wie ich dann jetzt noch weiterleben sollte!

Montag, 19. September 2011

Freitag, 9. September 2011

Nachhaltige Vollverblödung

Die Zeit Online ist ja einfach Klasse. Erst recht, seit es diese Anzeigen für den "Eco Store", oder "Avocado Store" oder wie er sich auch immer nennen mag, gibt. Hier wird einem wirklich alles angeboten, was der Volltrottel des 21. Jahrhunderts mit zuviel Geld braucht. Heute waren es Trinkflaschen aus "hochwertigem Borosilikatglas". Vermutlich hat jemand, der nie im Chemielabor gearbeitet hat, noch nie etwas von "Borosilikatglas" gehört, und auch nie hören müssen. Klingt aber Klasse! Noch besser ist aber das "umweltfreundliche Design" der Glasflaschen. Da werden sich die Bären dieser Welt richtig freuen, ist doch das bisherige Glasflaschendesign ganz sicher mit Schuld an Klimawandel und Impotenz bei Pandas. Am besten aber ist, was diese Flaschen verfolgen! Man mag es nicht glauben, aber es ist wahr! Sie "verfolgen ein nachhaltiges Trinkkonzept"! Jetzt sollte jeder begreifen, daß er diese Flaschen unbedingt braucht. Waren doch herkömmliche, nicht nachhaltige Trinkkonzepte immer irgendwie, naja, irgendwie halt nicht nachhaltig: Man kippt sich sein Getränk oben in den Hals, und wenig später schon läuft es unten wieder aus einem raus. Voll nich' nachhaltig, dieses Konzept! Mit der nachhaltigen Trinkkonzept-Flasche aber wird alles besser: Trinken, reinstrullern, trinken. Nachhaltiger geht's kaum!
Schade eigentlich, daß das "nachhaltige Trinkkonzept" gleich wieder aus der Werbeanzeige und der Produktbeschreibung verschwunden ist. Also, ich find's einfach Klasse!

Dem Zombie knapp entkommen

Wird man mal für einige Zeit von seiner Liebsten alleine zu Hause gelassen, dann bietet das ja durchaus auch angenehme Möglichkeiten. Man kann es sich zum Beispiel nachts, diverse Getränke und Snacks griffbereit, auf dem Sofa bequem machen und in Ruhe all die Filme gucken, die im Beisein sensibler Damen tabu sind. Nein, nicht falsch verstehen! Erst durfte der ein oder andere Zombie in Dawn of the Dead über den Bildschirm tollen. Und als Spätprogramm gab es dann The Grudge, ein auf Nerven anspannende Weise irgendwie ungewohnter Horrorfilm. Und solche Filme haben ja, im Dunkeln alleine in der Wohnung, durchaus so ihrer Nachwirkungen. Ich will jetzt nicht sagen, daß ich Angst hatte, nein nein! Aber sie machen einen dann doch ein klein wenig dünnhäutiger als sonst.
Und dann komme ich so um kurz nach zwei aus dem Bad und auf dem Weg durch die dunkle Wohnung ins Bett will ich noch eben die Balkontür zumachen. Die Tür zum üblicherweise leeren Balkon. Völlig leer, und völlig dunkel. Normalerweise. Ich nehme den rechten Flügel der Tür in die Hand und schwinge ihn, der Blick schweift müde im dunklen Hof umher, mit einer Armbewegung zu. Und stoße auf halben Weg plötzlich auf einen lautlosen, weichen aber starken Widerstand. Verblüfft sehe ich nach unten, und ich sehe zu meinem Entsetzen etwas Dunkles, Unförmiges, Massiges, das sich vom Balkon aus um den Türpfosten in die Wohnung schieben will. Das Adrenalin schießt sofort hoch, ich reiße im Schrecken den Mund auf, schnappe nach Luft und mache einen blitzschnellen, weiten Satz zurück, nur weg von der Tür. Tja, und in der viel zu kleinen Wohnung stolpere ich gleich über das hinter mir herausragende Ende der Chaiselongue, falle nach hinten drüber und krache mit dem Kopf und den Schultern auf den niedrigen schwarzen Couchtisch aus bestem schwedischen Pressspan. Und für so was sind schwedische Couchtische nicht gemacht. Schultern übrigens auch nicht. Die Tischplatte bricht der Länge nach und hätte ich nicht Gläser und Besteck schon in die Küche gebracht, ich wäre womöglich nicht mit ein paar blauen Flecken weggekommen. Aber immerhin, Zombies und Dämonen hatte ich jetzt nicht mehr im Sinn. Ich rappelte mich aus dem kaputten Tisch, von der Fernbedienung, den Zeitschriften und dem nun mehr Span als Pressspan auf, schalte das Licht an. Und im Licht finde ich den unheimlichen dunklen Eindringling unverändert in der Balkontür eingeklemmt: Ein Bettbezug, den der Wind offenbar vom drüberliegenden Balkon herunter und zwischen Balkon und Wohnzimmer geweht hat, wo ich ihn mit der Tür zu einem Haufen zusammengeschoben hatte.
Und damit ist klar, die Schuld an all dem Chaos hat allein der Gigolo aus der Wohnung über mir! Denn der hat sich wohl nicht mehr getraut, noch mal bei uns zu klingeln und seine Bettwäsche abzuholen. Bis heute war er nicht da. Würde ihm auch nicht viel bringen, sein Bettbezug müsste er schon vom Dach der Garage im Innenhof auflesen. Dort, irgendwie und unerklärlich in derselben Nacht vom Wind noch weitergeweht, verrottet er jetzt. Wie kann man seine Mitmenschen auch nur so erschrecken?

Donnerstag, 8. September 2011

Liebe mit dem Kugelschreiber

Ich sollte mal was von meinem Nachbarn erzählen, dem aus der Wohnung direkt oben drüber. Wir wohnen jetzt schon fast ein Jahr in unserer Wohnung, und ich habe ihn in dieser Zeit ein einziges Mal gesehen, vor Monaten. Anscheinend haben wir einen recht unterschiedlichen Tagesablauf. Und gesehen habe ich ihn auch nur, weil er meine Frau angebaggert hat.
Man mag ihm zugute halten, daß er wohl nicht wußte, daß die Dame in meiner Wohnung dort nicht alleine zu Hause ist, wahrscheinlich hatte er auch mich vorher nie gesehen. Erst klingelte er an zwei Abenden bei uns. Er hatte seine Wäsche zum Trocknen vor seinem Balkon aufgehangen, und der Wind hatte beim ersten Mal eine Unterhose, beim zweiten Mal ein Handtuch von der Leine weg und hinunter auf unseren Balkon geweht. Und diese Wäsche wollte er wieder abholen. Beide Male hatte die Dame des Hauses die Tür geöffnet und die Kleidung wieder hinaus gereicht. Am nächsten Samstagmorgen aber fand sich ein unter der Wohnungstür hindurchgeschobener Zettel im Flur. Und zwar ein ganz romantischer, aus einem karierten Notizblock herausgerissen und schräg mit Kugelschreiber bekritzelt: Er würde die Dame mögen, und sie könne doch mal zu ihm herauf kommen, er sei das Wochenende über alleine in seiner Wohnung. Gut, darüber könnte man noch hinweg sehen, war dieser Samstag doch so was wie das lokale Äquivalent zum Valentinstag, und ein so kleiner und lieblos beschmierter Zettel schien doch eher aus einer Bierlaune heraus entstanden, denn ein ernsthafter Liebesbrief. Zumindest dachte ich, eine ernsthafte schriftliche Umwerbung eine Dame, und wenn's nur eine Einladung auf einen Sprung nach oben ist, gehört auf einen richtigen Papierbogen geschrieben, mit Tinte, oder wenigstens mit einem Tintenroller. So aber blieb seine mutige Offenbarung inniger Gefühle schlicht ungehört.
Doch schon am folgenden Samstag fand sich ein neuer Zettel vor der Tür, wieder irgendwo heraus gerissen und auf der Vorder- und Rückseite mit Kuli beschrieben. Die Dame sei sehr schön (da hat er recht), er liebe die sehr (könnte man ihm nicht verübeln) und sie solle doch mal rauf kommen oder auch anrufen.
Ab diesem Punkt, denke ich, konnte man seine Bemühungen nicht mehr ignorieren. Ich sollte mal zu ihm raufgehen. Zugegeben, ich war zuerst ein bisschen nervös. Denn obwohl von Natur aus recht - sagen wir mal - solide gebaut, bin ich doch nicht unbedingt so der Bodybuilder-Typ. Und ich hatte ja keine Ahnung, ob ich nicht womöglich einem Pitbulls züchtenden Hells Angel das Wochenende verderben würde. Aber die Umworbene versicherte mir, daß ich eine schmächtige Person, einen Kopf kleiner als ich, zu erwarten hätte. Und so klingelt ich, seine "Liebesbriefe" in der Hand, an der Wohnungstür. Meine Schultern spreizte ich so weit ich konnte, und ich setzte den finstersten Blick auf, zu dem ich nur fähig bin. Ganz sicher habe ich noch nie so gefährlich ausgesehen! Er war beim Öffnen der Tür zunächst offenbar enttäuscht. Die ihm vorgehaltenen Papierfetzen riss er mir sofort aus der Hand und zerknüllte sie. Als nächstes war er offenbar peinlich berührt. Und nach einem kurzen Gespräch hat er sich dann auch nie wieder gemeldet. Die schöne Frau von eine Etage tiefer mag über seinen mangelnden Willen, um seine große Liebe zu kämpfen, insgeheim ein bisschen enttäuscht gewesen sein, aber sie verkraftete das Ende seiner Umwerbungen dann doch recht schnell. Und so vergaß ich ihn auch wieder. Aber eigentlich erzähle ich das alles nur, damit man verstehen kann, weshalb es letztlich nur seine Schuld war, als ich, wieder Monate später und nachts alleine in unserer Wohnung, mit meinen Schultern unseren Couchtisch zertrümmerte. Aber das führe ich lieber erst das nächste Mal genauer aus... Und rückwirkend gesehen war es ja sogar eine ziemlich interessante Annäherungsstrategie, der Frau der Begierde seine Unterwäsche auf den Balkon zu werfen!