Freitag, 4. Februar 2011

Die lebenden Fossilien der Aufklärung

Ein wohlbekanntes, aber im Grunde doch erstaunliches Phänomen ist es, daß manch veraltetes Gedankengebäude einfach nicht aussterben will, selbst wenn der Weltgeist schon ein ganzes Stück weiter gezogen ist. Man denke nur mal an den Kommunismus: eine Theorie, die in etwa so zukunftsweisend ist wie die Steuererklärung von vor drei Jahren. Und dennoch gibt es auch heute in Deutschland noch das Häuflein derjenigen, die weiter von der Revolution träumen. Ein anderes Programm dieser Art ist die philosophische Bewegung der Aufklärung. Nur ist diese nicht wie der Kommunismus beeindruckend gescheitert, sondern ganz im Gegenteil. Das Programm der Aufklärung ist zumindest in Deutschland quasi erfüllt worden. Nur, so viel, wie sich manch einer davon erhofft hätte, ist wohl doch nicht dabei herumgekommen. Vermutlich ist das der Grund dafür, weshalb einige die Vollendung der Aufklärung gar nicht bemerken, und sich die Gemeinde der "Humanisten", "Freidenker" und diverse kleine Blogs weiter die Verbreitung der Aufklärung auf die Fahnen geschrieben haben.
Gut - für das letzte Dorf in Süddeutschland möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Aber wenn man Deutschland mal so im Ganzen betrachtet, dann kann man von der Verbreitung der Aufklärung, jenem Ausgang aus der selbstverschuldeten Unfähigkeit, sich seines Verstandes ohne die Anleitung anderer zu bedienen, schon beeindruckt sein. Denn Aufklärung ist nur Aufklärung, wenn die Ursache der Unfähigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, im Mangel des Mutes und der Entschließung liegt. Nicht etwa im Mangel des Verstandes. Und an Mut und Entschließung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, daran mangelt es in Deutschland nun wirklich nicht! So ziemlich jeder meint, die Früchte seines Verstandes genießen zu müssen. Und so werden eifrig Blogs geschrieben. Gläubige begründen ihren Glauben nicht mehr mit Aber der Pfaffe hat gesagt..., sondern mit Ich kann mir einfach nicht denken, daß das hier alles zufällig entstanden sein soll..., und es wird leidenschaftlich am persönlichen kleinen Cross-over aus Christentum und Buddhismus gebastelt. In jeder Nachmittagstalkshow geben die Gäste die Schlußfolgerungen ihres Verstandes schamlos zum Besten. Schließlich gipfelt die Aufklärung in beeindruckenden Stellungnahmen, wie mir selbst schon passiert: Wenn man etwa gegen die lapidare Behauptung, ein bestimmter Sachverhalt sei natürlich und offensichtlich so und so, einwendet, daß diese Angelegenheit vieleicht doch nicht so offensichtlich sei, denn immerhin hätten sich Persönlichkeiten wie Leibniz oder Kant ausgiebige Gedanken darüber machen müssen. Dann bekommt man die Antwort, daß dem Gesprächsparter diese Überlegungen ganz egal seien, er vertraue lieber auf seinen eigenen Kopf. Wahrlich, an Mut und Entschließung zur Benutzung des eigenen Verstandes mangelt es nicht mehr! Das Problem liegt eher im Mangel an Verstand. Und das ist ja nicht mehr erklärte Angelegenheit der Aufklärung.
Nehmen wir die Aufklärung also als das, was sie ist: ein notwendiger und umgesetzter historischer Schritt, der aber die Ressourcen an Verstand dramatisch überschätzt hatte. Was nun gebraucht wird, ist ein Programm, wie mit dem allgemeinen Mangel an Verstand umgegangen werden kann. Und da gibt es bisher leider keine so überzeugenden Ansätze.

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