Donnerstag, 14. Oktober 2010

Die Politik des Staubkorns

Am sechsten Januar dieses Jahres wurde ein interessanter Himmelskörper in unserem Sonnensystem entdeckt. Das Objekt befindet sich im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter und bekam die wenig romantische aber systematische Kometenbezeichnung P/2010 A2. Diese Klassifikation als Komet verdankt das Objekt seinem diffusen Aussehen - es scheint eine Staubwolke hinter sich her zu ziehen. Zwar kennt man inzwischen einige wenige Kometen im Asteroidengürtel (Beispiel), und doch war man bei dem neu entdeckten Objekt mißtrauisch. Handelt es sich wirklich um einen echten Kometen, d.h. einen Körper, auf dem Eis verdampft und kontinuierlich Staub aufwirbelt, oder ist die Staubwolke das Ergebnis eines Zusammenstoßes zwischen zwei eisfreien Asteroiden? Diese Frage läßt sich beantworten, wenn man die räumliche Verteilung des Staubes untersucht. Das Problem nun ist, daß man P/2010 A2 von der Erde aus einem sehr ungünstigen Blickwinkel sieht. Die Erde steht in etwa in der Bahnebene des Problemkörpers, und man sieht die Verteilung des Staubes quasi "von der Kante aus", und nicht "von oben", wie es nötig wäre, um zu unterscheiden, ob die Wolke die eines Kometen ist oder aber aus Trümmern eines Zusammenstoßes besteht. Man benötigt einen anderen Blickwinkel, weit weg von der Erde. Und den bot die europäische Raumsonde "Rosetta", die auf dem Weg zu Komet Churyumov-Gerasimenko ist und mit ihrer Bordkamera "Osiris" einen völlig anderen Blick auf P/2010 A2 hat als der Beobachter auf der Erde. Und nur dank dieser Beobachtungen kann endgültig entschieden werden, daß es sich tatsächlich um eine Trümmerwolke handelt. Man kann sogar den Zeitpunkt des Zusammenstoßes von P/2010 A2 mit einem kleineren zweiten Asteroiden gut einschränken: die Kollision muß sich um den 10. Februar 2009 herum ereignet haben.
Dies ist ein hübsches Stück Astronomie und ein schönes Beispiel für die Kombination von bodengebundenen Beobachtungen und Beobachtungen mit einer Raumsonde im erdfernen Weltraum. Verständlich also, daß dieses Ergebnis es heute in diverse Medien geschafft hat, z.B. in den Spiegel und die Frankfurter Rundschau. Und hier wird es dann richtig ärgerlich. Denn dort heißt es dann nur: "Die US-Raumfahrtbehörde NASA gibt bekannt...", und dazu gibt es Bilder vom Hubble Space Telescope und Zitate von einem in den USA tätigen Wissenschaftler. Dabei sollte man festhalten:
- Es gibt heute zwei Fachpublikationen im europäischen Fachjournal Nature.
Eine stammt von einem überwiegend europäischen Autorenteam, das den Beweis für den Kollisionsursprung der Wolke liefert. Die andere stammt von einem überwiegend US-amerikanischen Team, das Beobachtungen der Wolke mit dem Hubble Space Telescope analysiert.

- Das Hubble Space Telescope ist, unglaublich aber wahr, ein Gemeinschaftsprojekt der USA und der europäischen Weltraumagentur ESA.

- Die Schlüsselbeobachtungen wurden von der europäischen Raumsonde Rosetta gemacht und in Europa analysiert.

- Es gibt eine Presseerklärung von der NASA, und eine vom deutschen Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, an dem die Kamera "Osiris" an Bord von Rosetta betreut wird.
Und trotz alle dieser intensiven und letztlich entscheidenden Beteidigung europäischer, auch deutscher Forscher taucht in der deutschen Presse als einzige und alleinige Quelle die amerikanische Seite auf. Entweder, die europäische Wissenschaft muß noch eine Menge über Öffentlichkeitsarbeit lernen. Oder deutsche Journalisten müssen ihren Horizont so extrem erweitern, daß sie sich vorstellen können, daß auch europäische Wissenschaft ab und an mal ein bemerkenswertes Ergebnis vorweisen kann.

Kotz.


Nachtrag 15.10.: Zumindest im Artikel auf Spiegel.de taucht jetzt auch der europäische Beitrag auf.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Meinungsfreiheit und Verstandfreiheit

Bisher dachte ich immer, das Gejammer über die angeblich beschnittene Meinungsfreiheit sei ein Phänomen irgendwelcher Spinner, die glauben belegen zu können, daß die Relativitätstheorie falsch sei, und die vom mit Denkverboten belegten Establishment einfach nicht anerkannt werden. Aber vieleicht zahlt es sich noch mal aus, daß ich dieses Blog ohne ausgiebiges Impressum betreibe, denn die Lage scheint viel ernster und das Problem inzwischen im Politischen angekommen. So hatte der Focus am 13.9. in seiner, die gibt wirklich, Rubrik "Philosophie" über den Mangel an großen Denkern in Deutschland geklagt. Beim Focus mutet das zwar an, als würde ein Blinder den Niedergang der Malerei beklagen, aber Schuld hat für ihn eindeutig die soziale "Bestrafung" ungenehmer Meinungen. Um am 2.10. dann stimmt Thea Dorn in der Zeit mit ein. Die traut sich sogar, den Namen Sarrazin zu erwähnen und sieht die Meinungsfreiheit noch nicht in Gefahr, solange der noch einen Verleger findet. Doch auch sie bejammert die "Political Correctness", die "Ecken und Kanten" bei öffentlichen Persönlichkeiten abstraft.
Aber vieleicht sollte man sich doch mal daran erinnern, daß die Meinungsfreiheit beinhaltet, daß ein jeder seine Meinung in Wort, Schrift und Bild verbreiten darf, und das darf ja selbst ein Sarrazin, nicht aber, daß die kundgetane Meinung öffentlich anerkannt, respektiert, ernstgenommen oder honoriert werden muß. Ja, vieleicht ist es mitunter ein Verust, wenn eine nicht respektierte Meinung einfach abgekanzelt wird. Aber darf man Schwachsinn nicht als das behandeln, was er ist? Und gerade das ist all das Geschwafel, das unter verstärkte Meinungsfreiheit gestellt werden soll: ein grob vereinfachendes, undifferenziertes, kurz, populistisches, Geschwätz. Wie soll man damit umgehen? Wie man mit den Kommentaren von Kindern und Idioten verfährt? Das ist zwar Schwachsinn, was Du gesagt hast, aber trotzdem danke, daß Du Dich eingebracht hast? Vieleicht könnte es nicht schaden, sich mal wieder daran zu erinnern, daß die Bildung einer Meinung auch etwas mit Bildung im intellektuellen Sinne zu tun hat. Und daß nicht jede blödsinnige Meinung unter Naturschutz gestellt gehört, nur weil ich so dämlich bin, sie nun mal zu vertreten. Und daß eine öffentliche Meinungsäußerung auch etwas mit Verantwortung zu tun hat, erst recht, wenn sie von einem Träger hoher politischer Ämter vorgenommen wird. Letztlich können all die Sarrazinen dieser Welt dankbar sein, daß die Gesellschaft so dumm ist, sie einfach abzukanzeln. Denn würde sich die Öffentlichkeit erstlich mit ihren Thesen auseinandersetzten, es bliebe nicht viel von dem Mist, den sie zwischen zwei Buchdeckel quetschen lassen. Und mit dem Märtyrertum der Meinungsfreiheit wäre dann auch nichts...

Samstag, 9. Oktober 2010

Moral vor Vernunft

Es ist mal wieder an der Zeit, gegen all die Atheisten, Aufklärer und Wissenschaftsverehrer mit ihrer Vernunftgläubigkeit zu stänkern. Denn was ist das Heilmittel gegen Religion, Ideologie, Aberglaube? Klar, die Vernunft und ihr Destillat, die (Natur-)Wissenschaft. So sollten wir natürlich alle Wissenschaft und Vernunft in ihrer geistigen Reinheit unterstützen! Was dabei außen vor bleibt ist die Frage, was denn eigentlich "Vernunft" ist, was eine Überzeugung, eine Handlung, eine Theorie "vernünftig" macht?
Vielfach gibt es ja keine Diskussion, was vernünftig ist. Es ist vernünftig zu glauben, daß eins plus eins zwei ergibt, daß morgen die Sonne wieder aufgehen wird, und daß nichts eine bestimmte Eigenschaft gleichzeitig haben und nicht haben kann. Und dies alles nicht für vernünftig zu halten wäre völlig unvernünftig. Aber so verführerisch es auch sein mag, die Vernunft, da sie eine scheinbar so offensichtliche Angelegenheit ist, als nicht weiter reduzierbaren Grundbegriff vorauszusetzen - wenn man nur ein wenig weiter überlegt, stellt man fest, daß dieser Begriff keineswegs trivial ist. Wäre er es, vermutlich wären gar keine Forderungen nach seiner Unterstützung notwendig.
Wie sehr das, was man für offensichtlich und vernünftig hält, der Wandlung unterworfen ist, sieht man leicht bei einem Blick in die Vergangenheit. Ganze philosophische Theorien, die zu ihrer Zeit völlig vernünftig erschienen, sind mit der Zeit in Verruf gekommen. Aber selbst in den ganz fundamentalen Begriffen des Denkens ist der Mensch schon auf gefährliche Untiefen gestoßen. Nehmen wir als Beispiel die Philosphie der Mathematik und die Logik. Eine "Menge" war hier bis zum Jahre 1903 schlicht eine "Zusammenfassung von Elementen unseres Denkens zu einem neuen Element unseres Denkens", oder sowas ähnliches. Diese einfache und einleuchtende Definition erschien vernünftig. Dann entdeckten Zermelo und Russell ein Problem, die "Russelsche Antinomie": Wenn man "Elemente unseres Denkens" so einfach zu neuen Elementen kombinieren kann, dann kann man wohl auch alle Mengen, die sich selbst nicht enthalten, zu einer neuen Menge zusammenfassen. Enthält die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht enthalten, sich selbst? Angenommen, sie tut es nicht. Dann ist sie eine Menge, die sich selbst nicht enthält, und somit müsste sie sich selbst enthalten. Angenommen, die enthält sich. Wenn sie sich selbst nicht enthält, dann muß sie sich selbst enthalten. Offensichtlich ist also die scheinbar vernünftige Definition einer Menge widersprüchlich und muß verworfen werden. Zur Lösung dieses Problems gibt es verschiedene Vorschläge, die alle darauf hinaus laufen, die zulässigen Zusammenfassungen von "Elementen unseres Denkens" einzugrenzen. Auf diese Weise wird man zwar die Antinomie los, aber direkt einleuchtend sind die Alternativen dann nicht mehr. Die Vernunft auf direkt Einleuchtendes zu gründen ist also ein unsinniges Unterfangen.
Beim bisher Gesagten ging es um rein gedankliche Probleme . Aber auch wenn man die Welt um uns herum betrachtet, findet man Probleme mit dem, was "vernünftig" ist. Die moderne Physik ist da ein offensichtliches Beispiel. Kein Zweifel, hätte man die Quantentheorie oder Relativitätstheorie einem Wissenschaftler vor zwei- oder dreihundert Jahren gezeigt, er hätte sie für völlig unvernünftig gehalten. Von der mathematischen Formulierung hätte man ihn vieleicht noch überzeugen können. Aber zu behaupten, daß die Natur sich wirklich so merkwürdig verhalten sollte? Immanuel Kant hielt die dreidimensionale, euklidische Struktur der Raumes noch für eine offensichtliche Wahrheit, die man sich gar nicht anders denken könne ("Kritik der reinen Vernunft").
Bleibt noch die Trennung zwischen der rein "geistigen" Welt der Logik und der Welt der Erfahrung, in der es Aussagen wie die über die Struktur des Raumes gibt. Das die Annahme einer strikten Trennung zwischen beiden Bereichen eine Illusion ist, hat Quine 1951 bereits gezeigt ("Two Dogmas of Empiricism").

Die Vorstellung, es gäbe so etwas wie eine selbstständige, unabhängig von allem Andern existierende Vernunft, ist also unsinnig. Was immer man mit Vernunft meint, ist eng mit unserem Vorstellungsvermögen und unserer Erfahrung mit der Welt verwoben. Wenn man den Begriff der "Vernunft" schon nicht klar und universal definieren kann, dann bleibt als Ausweg noch der oft vorgeschlagene Pragmatismus. Vernünftig ist demnach, was gut funktioniert und weiter trägt. Allein, um zu entscheiden, was pragmatisch geboten ist, muß erst einmal ein Ziel vorgegeben sein, auf das hin die Tätigkeit ausgrichtet werden soll. Die Methoden der Naturwissenschaften sind nur insofern unter pragmatischen Gesichtspunkten vernünftig, als daß es darum geht, die Welt auf "mechanische" Weise zu verstehen oder die Natur nutzbar zu machen. Dieses Ziel folgt aber nicht aus der naturwissenachaftlichen Forschung selber.
Vor der Verunft steht also immer erst eine Zielauswahl, ein sollens-Satz. Rechnet man solche sollens-Sätze im weitesten Sinne zur Ehik, dann kommt vor der Vernunft die Ethik. Die Ethik sucht sich ihre Vernunft (Soviel noch zum Utilitarismus).
Religiöse Menschen haben nun, so scheint es mir, kein Problem damit, einzugestehen, daß ihre Vernunft aus ihren ethischen Grundsätzen folgt. Es bleibt nur die Frage, woher die leidenschaftlichen Vertreter der Vernunft die Überzeugung nehmen, daß gerade ihre Sichtweise auf die Welt die einzig wahre und "ideologiefreie" ist?

Freitag, 8. Oktober 2010

Geschichte deuten mit dem Pfaffen

Wären Dummschwätzen und Geschichtsklitterung olympische Disziplinen, das Treppchen wäre fest in der Hand von Christen jeder Geschmacksrichtung. Besonders deutlich wird das immer, wenn es um Themen wie Aufklärung, Menschenrechte und moderne Demokratie geht. Denn da dies alles Erfindungen des "christlichen Abendlandes" sind, werden sie allzu gerne als christliche Errungenschaften vereinnahmt. Dabei hadern die Christen durchaus mit "ihren" großen Leistungen. Denn kaum das jemand von den Errungenschaften der Aufklärung gebrauch macht, jammern sie einem auch schon was vom "postmodernen Relativismus" vor. Erst recht makaber wird es, wenn jemand wagt, das Christentum direkt anzugreifen. Dann hört man in letzter Zeit gerne Bemerkungen wie "Bei den Moslems würden die sich das nicht trauen. Da würde man die gleich erschlagen." Irgendwie meine ich da immer ein gewisses Bedauern herauszuhören, daß es heutzutage nicht mehr so leicht ist, einen guten alten Scheiterhaufen anzuzünden. Und heute hat wieder ein Berufsgläubischer seine bemerkenswerte Weltsicht verbreitet. Da blubbert Henning Dobers, seines Zeichens Pfaffe und "Coach der Wirtschaft", auf die Frage, ob man auch als nicht-Christ Mitglied einer christlichen Kirche sein könne:
"Diese Frage ist typisch westlich. Sie wird meist nur dort gestellt, wo im Laufe der Jahrhunderte die christliche Religion überhaupt erst eine Kultur der Freiheit des Denkens und Lebens ermöglicht hat."
Eine Äußerung, die man sich erst einmal auf der Großhirnrinde zergehen lassen muß! Denn nicht nur, daß das Christentum mal wieder eine "Kultur der Freiheit des Denkens ermöglicht hat", nein, wieder mal geht es auch um eine "typisch westliche" Freiheit. Dabei sollte man doch einmal fragen, woher eigentlich der "typisch westliche" Alleingültigkeitsanspruch einer Religion überhaupt kommt? In der Antike gab es denn "typisch" überhaupt nicht. Es handelt sich dabei um eine der wahren Errungenschaften des Christentums, oder, besser gesagt, der abrahamitischen Religionen, denn das Judentum und der Islam haben ihn auch. Am deutlichsten machen das die Religionen selber, denn wozu ist der von Dobers selbst zitierte Bibelvers „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, außer durch mich!“ (Joh. 14, 6) gut, wenn es selbstverständlich ist, daß eine Religion alleine den Anspruch auf die Wahrheit erhebt? Schon das mit den "Göttern neben mir haben" des mosaischen Gesetzes oder die Geschichte vom Goldenen Kalb zeigen, daß außerhalb des Christen-/Judentums deutlich flexibler mit Religionen und Anbetungen verfahren wurde. Die Linien, die man von babylonischen zu griechischen und römischen Gottheiten ziehen kann, zeigen die muntere Durchmischung von Religionen, mit der auch das Christentum Schluß zu machen versuchte. Statt also die vermeintlich christliche Errungenschaft des freien Denkens hervorzuheben, damit die Frage nach der Kirchenzugehörigkeit von nicht-Christen gestellt werden kann, sollte man viel eher betonen, daß das Christentum sich eigentlich viele Jahrhunderte lang nur bemüht hat, diese Frage überhaupt erst notwendig zu machen!

Montag, 4. Oktober 2010

Impressionen (III)

Schön ist es, daß man ausgerechnet an einer päpstlichen Universität, an der Theologie und Philosophie gelehrt wird, über "Chemische Evolution und frühes Leben" geredet hat...

Samstag, 2. Oktober 2010