Freitag, 8. Oktober 2010

Geschichte deuten mit dem Pfaffen

Wären Dummschwätzen und Geschichtsklitterung olympische Disziplinen, das Treppchen wäre fest in der Hand von Christen jeder Geschmacksrichtung. Besonders deutlich wird das immer, wenn es um Themen wie Aufklärung, Menschenrechte und moderne Demokratie geht. Denn da dies alles Erfindungen des "christlichen Abendlandes" sind, werden sie allzu gerne als christliche Errungenschaften vereinnahmt. Dabei hadern die Christen durchaus mit "ihren" großen Leistungen. Denn kaum das jemand von den Errungenschaften der Aufklärung gebrauch macht, jammern sie einem auch schon was vom "postmodernen Relativismus" vor. Erst recht makaber wird es, wenn jemand wagt, das Christentum direkt anzugreifen. Dann hört man in letzter Zeit gerne Bemerkungen wie "Bei den Moslems würden die sich das nicht trauen. Da würde man die gleich erschlagen." Irgendwie meine ich da immer ein gewisses Bedauern herauszuhören, daß es heutzutage nicht mehr so leicht ist, einen guten alten Scheiterhaufen anzuzünden. Und heute hat wieder ein Berufsgläubischer seine bemerkenswerte Weltsicht verbreitet. Da blubbert Henning Dobers, seines Zeichens Pfaffe und "Coach der Wirtschaft", auf die Frage, ob man auch als nicht-Christ Mitglied einer christlichen Kirche sein könne:
"Diese Frage ist typisch westlich. Sie wird meist nur dort gestellt, wo im Laufe der Jahrhunderte die christliche Religion überhaupt erst eine Kultur der Freiheit des Denkens und Lebens ermöglicht hat."
Eine Äußerung, die man sich erst einmal auf der Großhirnrinde zergehen lassen muß! Denn nicht nur, daß das Christentum mal wieder eine "Kultur der Freiheit des Denkens ermöglicht hat", nein, wieder mal geht es auch um eine "typisch westliche" Freiheit. Dabei sollte man doch einmal fragen, woher eigentlich der "typisch westliche" Alleingültigkeitsanspruch einer Religion überhaupt kommt? In der Antike gab es denn "typisch" überhaupt nicht. Es handelt sich dabei um eine der wahren Errungenschaften des Christentums, oder, besser gesagt, der abrahamitischen Religionen, denn das Judentum und der Islam haben ihn auch. Am deutlichsten machen das die Religionen selber, denn wozu ist der von Dobers selbst zitierte Bibelvers „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, außer durch mich!“ (Joh. 14, 6) gut, wenn es selbstverständlich ist, daß eine Religion alleine den Anspruch auf die Wahrheit erhebt? Schon das mit den "Göttern neben mir haben" des mosaischen Gesetzes oder die Geschichte vom Goldenen Kalb zeigen, daß außerhalb des Christen-/Judentums deutlich flexibler mit Religionen und Anbetungen verfahren wurde. Die Linien, die man von babylonischen zu griechischen und römischen Gottheiten ziehen kann, zeigen die muntere Durchmischung von Religionen, mit der auch das Christentum Schluß zu machen versuchte. Statt also die vermeintlich christliche Errungenschaft des freien Denkens hervorzuheben, damit die Frage nach der Kirchenzugehörigkeit von nicht-Christen gestellt werden kann, sollte man viel eher betonen, daß das Christentum sich eigentlich viele Jahrhunderte lang nur bemüht hat, diese Frage überhaupt erst notwendig zu machen!

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