Freitag, 2. April 2010

Wissenschaft und Welt (Teil I)

Manchmal, wenn philosophisch interessierte Menschen mit naturwissenschaftlich orientierten Geistern diskutieren, scheint es mir so, als ob die Beteidigten direkt aneinander vorbei reden. Und die Hauptursache dafür liegt in der Bedeutung der Worte, die sie verwenden. Gerade der naturwissenschaftliche Gesprächsteilnehmer zieht sich mit Vorliebe in die Sicherheit seiner klar definierten Bedeutungen innerhalb wissenschaftlicher Theorien zurück und bemerkt so wenig wie sein "unwissenschaftlicher" Gesprächsparter, daß dann keine sinnvolle Kommunikation von der Naturwissenschaft nach draußen mehr möglich ist. Ich möchte das am Beispiel von Wasser verdeutlichen. Was ist die Bedeutung des Wortes "Wasser"?

Der Naturwissenschaftler wird vermutlich ohne zu zögern antworten, Wasser sei "H2O", das sei die beste und einzig wahre Definition von Wasser, und wenn man von Wasser spreche, spreche man eigentlich von H2O. Aber das stimmt nicht. Denn was sagen und verstehen wir denn, wenn wir das Wort "Wasser" benutzen? Sicherlich hängt das entscheidend vom Zusammenhang ab, und in den allerwenigsten Zusammenhängen verstehen wir "H2O". Wenn die Mitbewohnerin sagt, daß "schon wieder Wasserpfützen im Bad sind", will sie mir nicht sagen, daß da Pfützen, die überwiegend aus H2O bestehen, im Bad sind, und so verstehe ich es auch nicht. Und wenn ich dem Kellner im Restaurant sage, daß ich eine Flasche Wasser möchte, will ich weder sagen noch versteht er, daß ich eine mit H2O gefüllte Flasche wünsche.
Oder noch etwas weiter getrieben: die Identifizierung von "Wasser" mit "H2O" setzt voraus, daß man eine gewisse Molekül- und Atomtheorie mit akzeptiert. Nun ist es aber sehr gut denkbar, daß es einen Beduinen in der Wüste gibt, der niemals etwas von Molekül- und Atomtheorie gehört hat. Wenn die Bedeutung von "Wasser" H2O wäre, könnte er ohne diese Kenntnis das Wort "Wasser" nicht sinnvoll benutzen. Trotzdem kann sich aber selbst ein Chemiker durchaus sinnvoll mit einem solchen Beduinen über die Suche nach Wasserstellen, den verbleibenden Wasservorrat oder das beste Wasser für die Teezubereitung unterhalten.
Genauso verstehen wir ganz klar, was z.B. Shakespeare meint, wenn er das Wort "Wasser" in seinen Werken benutzt hat, obwohl er noch nichts von "H2O" wissen konnte. Also kann "H2O" nicht die Bedeutung von Wasser sein. Da mag es so etwas wie ein persönliches Konzept von Wasser geben, welches mich z.B. verstehen läßt, das die Wasserpfützen im Bad meinen, das ich endlich den Duschvorhang richtig zuziehen soll. Oder ein kulturelles Konzept von Wasser, das den Kellner verstehen läßt, was ich es heißt, wenn ich auf die Frage nach meinem Wunsch mit "Wasser" antworte, oder das Shakespeare auch nach Jahrhunderten noch verständlich sein läßt. Das Konzept "H2O" ist nur ein weiteres Konzept von Wasser unter vielen.
Nun ist es vieleicht noch nützlich darauf hinzuweisen, daß das Konzept "H2O" für Wasser keinesfalls mit dem sonstigen Gebrauch von "Wasser" deckungsgleich ist, daß es also gewissermassen nicht um eine andere "Intension" von Wasser geht, die aber die gleiche "Extension" zur Folge hat. Denn so ist beispielsweise flüssiges Wasser und festes Wasser beides im Konzept "H2O" inbegriffen, wogegen die alltägliche, nicht wissenschaftliche Sprache zwischen "Wasser" und "Eis" unterscheidet. Umgekehrt verweisen Worte wie "Wodka" (= "Wässerchen") oder "Königswasser" auf die Zugehörigkeit zu einer gewissen Kategorie "Wasser", wogegen das chemische Konzept von Wasser als "H2O" diese Substanzen gerade unterscheidet durch ihren Anteil an "nicht-H2O", d.h. "C2H5OH", bzw. "HCl" und "HNO3".

Man sollte also die verschiedenen Bedeutungen des Wortes "Wasser" deutlich auseinander halten. Man kann etwa sagen, daß es in der chemischen Theorie so etwas wie H2O gibt, das man *auch* als "Wasser" bezeichnet, und das durchaus einen deutlichen Überlapp mit anderen Bedeutungen von "Wasser" aufweist. Nichts desto trotz hat dieses "Wasser" als H2O seine Bedeutung ausschließlich innerhalb einer chemischen Theorie. Wenn man also als Naturwissenschaftler mit einem Philosophen über Wasser spricht, sollte man sich hüten, diesen Begriff, sei es bewusst oder unbewusst, auf seine Bedeutung innerhalb einer naturwissenschaftlichen Theorie zu beschränken, denn sonst wird man sich nicht verstehen.
Ähnliches gilt natürlich für eine Vielzahl anderer Begiffe auch, die sowohl in der Naturwissenschaft benutzt werden oder innerhalb einer ihrer Theorien definierbar sind, und die auch in anderen, nicht naturwissenschaftlichen Zusammenhängen verwendet werden. Schöne Beispiele wären etwa Worte wie "Druck", "rot" oder "Form".

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