Sonntag, 24. Januar 2010

Das Recht, unangreifbar zu sein

Was in diesem Jahr schon alles passiert ist in Punkto Religions- und Meinungsfreiheit!

Also z.B. hat ein Soziologieprofessor in Bielefeld den zeitgenössischen Islam als "kollektive Zwangsneurose" bezeichnet, sicherlich sehr zur Freude Freuds ("Eine dieser Wirkungen wäre das Auftauchen der Idee eines einzigen grossen Gottes, die man als zwar entstellte, aber durchaus berechtigte Erinnerung anerkennen muss. Eine solche Idee hat Zwangscharakter, sie muss Glauben finden. Soweit ihre Entstellung reicht, darf man sie als Wahn bezeichnen, insofern sie die Wiederkehr des Vergangenen bringt, muss man sie Wahrheit heissen. Auch der psychiatrische Wahn enthält ein Stückchen Wahrheit, und die Überzeugung des Kranken greift von dieser Wahrheit aus auf die wahnhafte Umhüllung über." aus: Der Mann Moses und die monotheistische Religion, Zweiter Teil, Abschnitt g). Und Mehmet Ayhan, Präsident der "Islamischen Religionsgemeinschaft", erstattet Anzeige und wird zitiert mit: "Wir fühlen uns sehr beleidigt", "Dieser Mann ist eine Ameise. Er hat an einer Hochschule nichts zu suchen".

Dann hat die Supermarktkette Penny noch zwei Karnevalskostüme mit religiösem Bezug aus dem Sortiment genommen, nachdem sich Christen wegen Verletzung ihrer religiösen Gefühle beschwert hatten. (Interessant ist hier auch noch die Verbrüderung der Muslime vom "Muslim Markt" mit den sich beklagenden Christen.)

Und in Irland ist das neue Blasphemiegesetz in Kraft getreten. Demnach ist Blaphemie nun definiert als stark religiöse Gefühle verletzendes Material, das den öffentlichen Frieden stören soll und es auch tut. Dafür gibt es dann u.U. deutliche Geldstrafen. (Und hier seinen Muslime besonders glücklich über die neue Regelung.)

Natürlich hat ein jeder ein Recht auf seine eigene Meinung. Aber keine, wirklich keine Meinung hat ein Recht darauf, nicht kritisiert zu werden. Es ist gefährlich, im Entgegenkommen bei Beschwerden religiöser Gruppen immer mehr Meinungsfreiheit zu opfern. Und es wäre unerträglich, würden unter Berufung auf die Schutzwürdigkeit religiöser Gefühle quasi nicht kritisierbare Inseln geschaffen. Und auch wenn die Grenze zur persönlichen Beleidigung gewahrt bleiben muss, so darf es doch nicht im alleinigen Ermessen einer religiösen Gemeinschaft liegen, zu entscheiden, wann ihre Gefühle übermäßig verletzt sind.
Und doch wird anscheinend schnell der traditionell (gegen Weltliches und Geistliches) respektlose Geist des Karnevals aufgegeben, wenn es christliche Beschwerden gibt. Und es scheint schon problematisch zu sein, öffentlich religionskritische Bezüge auf Freud herzustellen. Doch wenn durch diese beiden Vorkommnisse die Grenze zur Blasphemie bereits erreicht wird, so sollten eine Reihe von historischen Schriften besser verboten und aus öffentlichen Bibliotheken entfernt werden?

Denn etwa Friedrich Nietzsche äußert sich abfällig über die "Sklavenmoral" des Christentums (Jenseits von Gut und Böse) und bezeichnet Religionsstifter allgemein als Betrüger, die aus dem Zustande der Selbsttäuschung nicht mehr herausfinden (Menschliches Allzumenschliches).

Oder gar Karl Marx, der über das "Opium des Volkes" sagt, es sei ein von der Gesellschaft hervorgebrachtes verkehrtes Weltbewusstsein, das es außerdem noch zu bekämpfen gelte (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie).

Und eben auch Sigmund Freud, für den neben dem schon gesagten u.a. auch noch die "Frohe Botschaft" der Tilgung menschlicher Schuld durch den Tod Jesu am Kreuze "wahnhaft" ist (Der Mann Moses und die monotheistische Religion, Zweiter Teil, Abschnitt h).

Und Bertrand Russell ist auch völlig inakzeptabel. U.a. ist für ihn das Christentum verantwortlich für Intoleranz und "katastrophale Effekte" auf die Moral (in: Has Religion Made Useful Contributions to Civilisation?), und er nennt Gottesglaube auch noch in einem Satz mit Stalins Doktrinen (in: Religion and Morals). Beides z.B. erschienen im Essayband Why I am not a Christian.

Diese Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen und erweitern. Selbst heliozentrisches Weltbild und Evolutionstherie sind da inakzeptabel, haben sie doch bereits massiv religiöse Gefühle verletzt.
Wenn aus falsch verstandener Toleranz, aus kommerziellem Interesse, oder einfach nur des lieben Friedens willen die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, verlieren wir mehr als nur ein paar "belanglose Stimmen" Einzelner. Wir riskieren das, was diese Gesellschaft ausmacht.

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