Donnerstag, 28. Januar 2010

Broder, Hass und Taliban

Das schöne an Glossen ist, dass sie einen vom Zwang der klaren Argumentation befreien, und man sich nicht zu sehr auf bestimmte Details seiner Position festlegen muß. Und dazu gibt es aus zwei Gründen Anlaß. Einmal, wenn die Argumente der Gegenseite ohnehin so absurd sind, dass es sich nicht lohnt, sich ernsthaft auf sie einzulassen. Und zum anderen, wenn die eigenen Argumente bei näherer Betrachtung dann doch nicht so gut sind, wie man das vieleicht gerne hätte, und es daher besser ist, sie nicht zu deutlich heraus zu stellen. Und wo wir schon mal beim Thema sind, könnten wir ja mal einen Blick auf die publizistischen Ergüsse des Henryk Broder werfen, zum Beispiel auf seinen offenen Brief an Guido Westerwelle zu der Idee der "Aussteigerprämie" für Taliban in Afghanistan. Man muss wohl annehmen, daß Herr Broder diese Idee nicht gutheißt, so sehr wie er sich lustig macht, nicht über diese Idee selber, sondern indirekt, über die Idee einer Prävention. Aber man könnte mal versuchen, zu argumentieren. Machen wir uns also mal ein zugegeben sehr einfaches Bild von Afghanistan:
Nehmen wir an, es gebe eine afghanische "Bevölkerung", die nicht den kämpfenden Taliban zuzurechnen ist. Dann gebe es die Gruppe der "Talibankämpfer". Und die Menge der "toten Talibankämpfer". Zwischen diesen Gruppen möge es Übergänge geben. So z.B. einen Übergang von der "Bevölkerung" zu den "Talibankämpfern" durch Anschluß, mit einer bestimmten Rate rA in Personen/Monat. Dann möge es den Übergang in umgekehrter Richtung geben, von den "Talibankämpfern" zur "Bevölkerung", eben durch Aussteiger, mit einer Rate rB. Dann gebe es noch den Übergang von "Talibankämpfern" zu "toten Talibankämpfern", im wesentlichen durch das Militär, mit einer Rate rC. Dieses einfache Konzept (aber einfach scheint ja auch die Welt des Herrn Broder zu sein) sei hier kurz illustriert:

Das politische Ziel ist es nun, die "Talibankämpfer" möglichst zu schwächen, also die Gruppe der "Talibankämpfer" zu minimieren. Zum Erreichen dieses Ziels könnte man Einfluß auf alle drei Raten nehmen. Also rA durch Präventionsmaßnahmen möglichst klein halten. Oder rC durch mehr Angriffe möglicht groß machen. Oder eben durch Anreize zum Ausstieg rB möglichst groß machen. Die Entscheidung, welche dieser Maßnahmen am besten geeignet ist, die Menge "Talibankämpfer" möglichst klein zu machen, ist selbst in dieser simplen Betrachtung nicht einfach zu treffen. Zum einen benötigt man für eine solche Beurteilung Informationen über die Größen der verschiedenen Gruppen, sowie über die momentanen Raten für die verschiedenen Übergänge. Dann benötigt man zumindest Schätzungen, wie man die Raten durch Maßnahmen verändern kann, etwa Schätzungen über den Anteil potentieller Aussteiger. Hier gehören dann auch Kostenbetrachtungen hinzu. Dann sind wohl auch die Raten nicht unabhängig von einander. So wurde ich naiv annehmen, dass wenn rC steigt, also es zu vielen toten "Talibankämpfern" kommt, rA sinkt und rB steigt, weil die "Talibankämpfer" unattraktiver werden. Oder wenn es zu vielen "Kollateralschäden" durch Militäraktionen zur Steigerung von rC kommt, könnte rA ansteigen, weil die Empörung der Bevölkerung wächst.
Also alles nicht so einfach zu beurteilen, nicht einmal in einer einfachen Modellwelt, und ich möchte hier natürlich nicht über die beste Strategie entscheiden. Es geht ja um etwas anderes. Denn Herr Broder nun scheint den Plan, rB zu steigern, grundsätzlich abzulehnen. In diesem Fall bliebe noch, rA zu senken, um die "Talibankämpfer" zu dezimieren. Aber dies alleine kann natürlich kaum ausreichend sein, in absehbarer Zeit Erfolge zu erzielen. Denn alleine mit dieser Methode würde rC nur durch die natürliche Sterblichkeit gegeben sein, und wenn rA überhaupt klein genug gemacht werden kann, um zu einer Nettoabnahme der "Talibankämpfer" zu führen, so würde dies Jahrzehnte in Anspruch nehmen, bevor es zu nennenswerten Resultaten käme. Also bleibt für Herrn Broder wohl nur, auch rC möglichst groß zu machen.
Daher muss man annehmen, dass Herr Broder das Töten der "Talibankämpfer" für den einzigen akzeptablen Weg zum Erfolg hält.
Warum nun wehrt sich Herr Broder so gegen die Einflussnahme auf rB? Das scheint eine prinzipielle Frage für ihn zu sein. Und sicherlich ist es ein schmutziges Geschäft, Gegner durch Zuwendungen und Zugeständnisse unschädlich zu machen. Aber sollte man deshalb diesen Weg ausschließen? Zu anderen Zeiten hat man da, allen Ekels zum Trotz, pragmatischer gedacht. So hat man nicht allzu sehr belastete Nazis in die deutsche Nachkriegsgesellschaft integriert, denn ohne sie ging es nicht. Und mußte man nicht auch ehemaligen Kommunisten in Osteuropa eine Change zur Teilhabe an den postkommunistischen Gesellschaften bieten, um des gesellschaftlichen Friedens willen? Die Frage ist also hier, was mehr zählt, das ethische Prinzip oder der praktische Erfolg. Und Herr Broder scheint sich da eindeutig auf die Seite des Prinzips zu schlagen; etwas, das er mit den meisten Fundamentalisten und Überzeugungstätern gemeinsam hat. Und wenn er zum Ergebnis kommt, dass man "Talibankämpfer" töten müsse, nicht des praktischen Erfolgs wegen, sondern um des Prinzips willen - könnte das vieleicht der Grund sein, weshalb andere Herrn Broder in eine Reihe mit "Hasspredigern" der islamistischen Seite stellen?

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